Mehr Artenvielfalt am Wegesrand

Eh-da-Projekt soll ungenutzte Flächen aufwerten

Es ist gesellschaftspolitischer Konsens, dass der Verlust biologischer Vielfalt nicht nur gestoppt, sondern sogar umgekehrt werden muss. Die Geister scheiden sich aber bei der Frage nach dem „Wie“. Weil Flächen in Deutschland knapp sind, will das Eh-da-Projekt ungenutzte Flächen für den Artenschutz aufwerten.

Solche Landschaftsteile entsprechen nicht immer dem Anspruch vieler Bürger nach „ordentlich gepflegten“ Flächen. Darin tummeln sich aber viele Insekten und Kleintiere.

Foto: Luttner

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Siedlungsbau, Tourismus und Naturschutz konkurrieren um die vorhandenen Flächen. Soll die intensive Nutzung von Äckern und Wiesen mit höchster Produktivität für mehr biologische Vielfalt eingeschränkt werden? Oder sollten mehr Flächen aus der landwirtschaftlichen Produktion herausgenommen und der Siedlungsbau gestoppt werden, damit frei werdende Flächen für den Naturschutz zur Verfügung stehen? „So einfach ist das nicht“, meinte Professor Christoph Künast in seinem Vortrag am Hans-Eisenmann-Zentrum in Freising-Weihenstephan. „Flächen sind knapp, das ist richtig – aber da gibt es mehr Alternativen.“

Meist sind die Flächen schmal, aber sehr lang

Professor Künast stellte das „Eh-da-Konzept“ vor. Eh-da-Flächen, das sage schon der Name, sind „einfach da“: Eh-da-Flächen sind Offenlandflächen in Agrarlandschaften und im Siedlungsbereich, die weder einer wirtschaftlichen Nutzung noch einer naturschutzfachlichen Pflege unterliegen. Sie sind meist unbeachtet, für Kommunen, Straßenbauämter oder Bundesbahn oft nur ein Kostenfaktor. Es sind Böschungen an Verkehrswegen, Verkehrsinseln, Bahndämme, Wegränder und gemeindeeigene Grünflächen, Keile in der Agrarlandschaft. „Eh-da-Flächen sind keine Agrarflächen und es sind auch keine ausgewiesenen Naturschutzflächen“, betonte Professor Künast. Meist sind die Flächen schmal, aber sehr lang. Diese Flächen haben Funktionen, unter anderem für den Schutz vor Erosion, sie können aber ökologisch aufgewertet werden. „Wir sprechen hier von einem enormen Flächenpotenzial. Etwa zwei bis sechs Prozent, je nach Region, sind in Deutschland Eh-da-Flächen.“, sagte Professor Künast. „Dies ist viel - und das spricht dafür, diesen Flächen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.“

Ungenutzten Flächen mehr Aufmerksamkeit schenken

Seit vier Jahren arbeitet ein Wissenschaftler-Team am Institut für Agrarökologie in Neustadt/Pfalz am Eh-da-Projekt. Das Konzept zielt darauf ab, viele Einzelflächen, beispielsweise in einer Gemeinde, in einem ökologisch sinnvoll verbundenen Gesamtkonzept zu vernetzen. Professor Künast betonte in seinem Vortrag, dass nicht nur Luchse, Wölfe und Bären für biologische Vielfalt stehen. Viele Arten, oft unscheinbar und kaum beachtet wie Insekten, Spinnen oder bodenbewohnende Kleintiere, finden auf Eh-da-Flächen Lebensräume. Da wären beispielsweise Bienen zu nennen: Honigbiene und Wildbienen benötigen Blüten, Wildbienen zusätzlich Lebensräume für die Fortpflanzung (zum Beispiel vegetationsfreie Flächen, Lesesteinhaufen). Von den 560 Wildbienenarten, die in Deutschland vorkommen, stünden derzeit viele auf der Roten Liste, obwohl Wildbienen aus ökologischer und aus ökonomischer Sicht eine sehr bedeutende Rolle spielen. Denn: Wildbienen und Honigbienen sind unverzichtbar für die Bestäubung von Kultur- und Wildpflanzen.

Eh-da-Flächen bedürfen gezielter Pflege

Eh-da-Flächen bieten aber auch Trittstein-, Korridor- und Saumbiotope, über die sich viele gefährdete oder seltene Arten ausbreiten. Diese Elemente können deshalb eingebunden werden in übergeordnete Landschafts- und Biotopverbundprojekte. Eh-da-Flächen bedürfen der gezielten Pflege, um ökologisch aufgewertet zu werden. Durch eine Vermeidung von Verbuschung und Förderung von Blühpflanzen, durch das Anlegen von Lesesteinhaufen und Trockenmauern können Lebensräume für Zauneidechsen, Blindschleichen und Mauswiesel geschaffen werden. Eh-da-Projekte basieren auf Freiwilligkeit. Vordergründig verspricht dieses Projekt einer Gemeinde keinen Nutzen. Erst auf den zweiten Blick werden die Vorteile für Kommunen sichtbar, wenn Schulen miteinbezogen werden, Politiker ein ökologisches Thema einbinden, Blühflächen das Lebensumfeld der Bevölkerung attraktiver machen und die Presse das Thema aufgreifen kann. Professor Künast bedauerte, dass vor allem im Süddeutschen Raum das Eh-da-Flächenprojekt bisher wenig Beachtung findet.

Ausbreitung von Schädlingen und Unkräutern verhindern

Eh-da-Projekte bieten vielfältige Vorteile: der Naturschutz kann gezielt Tiere, Pflanzen und Lebensräume fördern, für Imker gibt es Platz für Trachtpflanzen. Eine Vielzahl an Nützlingen, die den Bauern bei der Bekämpfung tierischer Schädlinge helfen, finden sich auf Eh-da-Flächen, von wo aus sie auf Äcker einwandern. Marienkäfer fressen Blattläuse, ebenso Florfliegen oder die Larven von Schwebfliegen. Aber es gibt auch Problembereiche, die bei Projekten im Vorfeld diskutiert werden müssen. Bauern und Gartenbesitzer können besorgt sein, dass Unkräuter oder Schädlinge gefördert werden. Invasive Pflanzenarten oder giftige Pflanzen (zum Beispiel Jakobskreuzkraut) können sich auf Eh-da-Flächen ausbreiten. Wenn gefährdete Arten vorkommen, zum Beispiel Eidechsen, kann die Gefahr einer Nutzungseinschränkung der Fläche bestehen. Und es gebe auch Menschen, die Gemeindeflächen „ordentlich gepflegt“ sehen wollen. Deshalb sei es wichtig kritische Themen im Vorfeld mit den Betroffenen, zum Beispiel im Gemeinderat, zu diskutieren. Damit die Umsetzung von Eh-da-Flächen gelingt, bedürfe es der Zusammenarbeit der Naturschützer, der Landwirte, der Kommunen, allen voran der Bürgermeister, und der Vereine. Zusätzlich könne über Schulen und Kindergärten eine hohe Bürgerbeteiligung erreicht werden.

Der Begeisterung Taten folgen lassen

Viele Gemeinden sind von dem Eh-da-Gedanken angetan und führen Projekte durch, derzeit laufen knapp 30 Projekte mit etwa 500 Flächen, und etwa 80 Gemeinden sind in der Planungsphase. Es gibt sehr positives Echo in der regionalen Presse, und viele Bürger engagieren sich. Eine Frage, die in der Regel am Anfang bei einem Projekt steht, ist: Was kostet das? Die Antwort lautet: Der Kostenrahmen ist sehr flexibel. Es gibt Bürgermeister, die berichten, dass keine nennenswerten Kosten anfielen, weil der lokale Bauhof ohnehin die Flächen pflegt und dies nun vermehrt nach ökologischen Gesichtspunkten tut. Andererseits kön- nen Saatgut, Bienenhotels, Bodenaufbereitung nennenswerte Kosten­faktoren sein. Planung und die rechtzeitige Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen erweisen sich oft als wichtiger als finanzielle Mittel. Damit das Eh-da-Flächen-Projekt langfristig erfolgreich ist, sollte ein „Kümmerer“ für die Projektkoordination vor Ort eingesetzt werden. Weitere Informationen: Forum Moderne Landwirtschaft, Fanny-Zobel-Str. 7, 12435 Berlin, 030/8145555-0, info@eh-da-flaechen.de.

Edith Luttner – LW 11/2017