Die Aussicht auf steigende Preise ist gar nicht so schlecht

Bei der Getreidevermarktung Risiken absichern

Bis zum Ende der Saison 2019/20 verbleiben nur noch wenige Wochen. Das Vermarktungsfenster für alterntige Partien schließt sich. Tatsächlich sind die Restmengen, die jetzt noch in den Getreidesilos lagern, aber ohnehin überschaubar. Über die aktuelle Marktlage informiert Dr. Nikos Förster, LLH-Marktinformation.

Dr. Nikos Förster: „Das Getreide­angebot am physischen Markt bleibt limitiert.“

Foto: LLH

Nach einer Experteneinschätzung des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen (LLH) dürften zum jetzigen Zeitpunkt noch maximal 5 bis 10 Prozent der Ernte 2019 unverkauft sein. Das Getreideangebot am physischen Markt bleibt also limitiert. Zumal sich die überhitzten Wettermärkte mit den Niederschlägen wieder etwas abkühlten und die Weizenkurse am Terminmarkt dadurch schwächer tendierten.

Der Septemberkontrakt wird zum jetzigen Zeitpunkt (Stand 20. Mai 2020) an der Euronext in Paris mit 185 Euro/t bewertet. Auf den hessischen Kassamarkt übersetzt bedeutet dies Erlösmöglichkeiten von etwa 170 bis 175 Euro/t frei Landlager.

Kaum Bewegungen beim Getreidehandel

Mangels Handelsvolumen sind die Preise aber eher nominell zu verstehen, denn die Abgabebereitschaft der Erzeuger ist bei diesen Preisen eher gering. Auch die Mühlen haben sich erstmal weitgehend vom Markt zurückgezogen und decken allenfalls nur noch Bedarfsspitzen – vorausgesetzt, der „Preis passt“. Das war in den ersten Wochen der Corona-Pandemie noch gänzlich anders, als die Konsumnachfrage nach Mehl explosionsartig anzog. Ãœberdies kommt in der jetzigen Situation hinzu, dass der Getreideexport saisonbedingt bereits etwas an Dynamik verliert. Nur etwa 30 000 t wurden in der Vorwoche ins Ausland verschifft. Das ist lediglich ein Drittel der Menge, die nach den Exportinspektionen vor zwei Wochen abgefertigt wurde. Entsprechend geraten die Preise an den Verladeterminals der Häfen etwas unter Druck.

Demgegenüber kommen Geschäfte mit Futtergetreide etwas häufiger zustande, wie die Auswertungen in der geschlossenen Benutzergruppe „CASH!“ des LLH zeigen. Futterweizen wird dabei zu vergleichbaren Preisen wie Brotweizen gehandelt (170 bis 175 Euro/t), während Futtergerste mit etwa 145 bis 155 Euro/t in die Bücher geht.

Nachfrage der Mälzereien ist regelrecht eingebrochen

Besonders schwer hat es die Braugerste. Corona-bedingt ist der Bierabsatz in Deutschland regelrecht eingebrochen und damit die Nachfrage der Mälzereien nach Rohstoff. In vielen Fällen ließen sich Braugerstenpartien nur noch als Futtergerste vermarkten, wie die Daten zeigen. Alterntige Partien werden nur noch selten vermarktet, Kontraktware häufig gar nicht erst abgerufen. Hier wird bereits von einem auslaufenden Geschäft gesprochen.

Die Preise der neuen Ernte geraten derweil ebenfalls unter Druck, da die EU bei Som­mergerste wohl wieder eine leichte Flächenexpansion verzeichnet. In Deutschland dürfte die Anbaufläche nach Zahlen des Statistischen Bundesamts um etwa 3 Prozent auf 368 000 ha steigen. Vor diesem Hintergrund agieren die Verhandlungspartner noch äußerst zurückhaltend.

Roggenpreise aktuell (noch) unter Druck

Gleiches gilt auch für den Teilmarkt für Roggen: Kontraktgeschäfte kennzeichnen den Markt, Neugeschäfte kommen so gut wie nicht mehr zustande. Immerhin taxiert der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) die deutsche Roggenernte 2020 derzeit auf 3,6 Mio. t, was ein Plus von 12 Prozent gegenüber 2019 bedeuten würde. Für die EU avisiert die Kommission derweil eine Roggenernte von 8,85 Mio. t, womit das mehrjährige Mittel sogar um 18,5 Prozent übertroffen würde.

Mit der Aussicht auf eine solche reichliche Roggenernte können sich die Verarbeiter entspannt zurücklehnen. Nominell werden vom Landhandel frei Lager daher nur etwa 150 Euro/t genannt. Angesichts der geringen Bodenfeuchte in Ostdeutschland und Polen darf allerdings bezweifelt werden, dass eine solche Ernte am Ende tatsächlich realisiert wird.

Die neue Ernte rückt in den Fokus

Wie dem kürzlich erschienen MARS-Bericht (Monitoring Agricultural Resources) der EU-Kommission zu entnehmen ist, leiden große Teile Europas immer noch unter einem Niederschlagsdefizit. Dies könnte die Ertragsbildung freilich beeinträchtigen. So bewertete das Analystenhaus FranceAgriMer zum Stichtag 4. Mai nur noch 57 Prozent der französischen Weizenbestände mit „gut bis sehr gut“. Im Vorjahr waren es zum gleichen Zeitpunkt noch 79 Prozent. Zwar sind die Bestände in Deutschland in einem besseren Zustand, doch wurde die Anbaufläche von Wintergetreide stark dezimiert.

Infolgedessen geht der DRV davon aus, dass die diesjährige Winterweizenernte mit 22 Mio. t um etwa 3,3 Prozent unter Vorjahreslinie und etwa 8 Prozent unter dem mehrjährigen Mittel liegen wird. Europaweit rechnet die EU-Kommission (Stand April 2020) indessen nur noch mit einer Getreideernte in Höhe von 289,6 Mio. t. Das wäre mengenmäßig ein Minus von 1,5 Prozent gegenüber der Kampagne 2019/20.

Global betrachtet dürfte die Getreideversorgung aufgrund der durchaus großen Ernten in anderen Weltregionen jedoch komfortabel bleiben. Darauf deutet zumindest die letzte Prognose des US-Landwirtschaftsministeriums im WASDE-Bericht für Mai 2020 hin. Für die Marktversorgung wird schließlich allerdings auch entscheidend sein, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die interkontinentalen Lieferketten und Warenströme haben wird.

Vermarktung der neuen Ernte

Angesichts der unsicheren Ernteprognosen agieren Erzeuger und Käufer sehr zurückhaltend am Markt. Zwar wird die neue Ernte besprochen, Abschlüsse kommen dabei aber nur selten zustande. Für die Erzeuger könnte sich das Warten am Ende auszahlen, denn die Voraussetzungen für höhere Preise sind gar nicht so schlecht. Dies gilt sowohl für das Getreide als auch für den Raps. Nachdem Russland und die Ukraine bereits Exportbeschränkungen erlassen haben, meldet Moskau nun Trockenschäden in den südrussischen Anbaugebieten.

Sollte sich dies bestätigen, spräche das für eine Angebotsverknappung am Weltmarkt. Weitere Wettermärkte mit entsprechenden Risikoprämien sind in den nächsten Wochen also nicht ausgeschlossen. Unterstützung bietet überdies der rege Weizenexport, der sich bislang nach den Zahlen der EU-Kommission auf 30,2 Mio. t beläuft. Das sind immerhin 64 Prozent mehr als im Vorjahr.

Es bestehen durchaus auch Marktrisiken

Allerdings sollten bei einer Vermarktungsstrategie für 2020/21 auch die Marktrisiken Berücksichtigung finden. Momentan spricht zunächst einmal wenig für ein gravierendes Versorgungsdefizit am Weltmarkt. Weiterhin setzt die stark rückläufige Ethanol-Produktion den Maispreis zunehmend unter Druck. Auf eine Preisralley sollte man also nicht unbedingt wetten. Auch ist die Gefahr eines Ausbruchs der Afrikanischen Schweinepest (ASP) – trotz rückläufiger Fallzahlen – immer noch nicht gebannt.

Schließlich sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie mit den entsprechenden Folgen auf die Rohstoffnachfrage weltweit kaum prognostizierbar. Vollzieht sich ein V-Szenario, bei dem die Wirtschaft nach einer Vollbremsung rasch wieder ins Gleichgewicht zurückkehrt oder sehen wir uns mit einem L-Szenario konfrontiert, bei dem sich eine längerfristige Rezession einstellt? Wir wissen es nicht. Im Lichte dieser Unsicherheiten ist zu empfehlen, auf Nummer Sicher zu gehen und das Risiko zu begrenzen (Maximin-Regel).

Die Jagd nach dem Höchstpreis ist nur selten erfolgreich

Wer keine Vorkontrakte abschließt, setzt alles auf eine Karte und riskiert dabei einen hohen Verlust. Denn die Jagd nach dem Höchstpreis ist selten erfolgreich. Idealerweise sollte man vor Beginn der neuen Ernte etwa 25 bis 30 Prozent der Mengen durch Vorverkäufe abgesichert haben. Wenn die Prämien in den nächsten Wochen wieder etwas steigen, macht man den Sack zu. Eine weitere Teilmenge kann dann ex-Ernte und gegebenenfalls am Jahresende vermarktet werden, wenn der Angebotsdruck aus der Schwarzmeerregion wieder nachlässt. Zu diesem Zeitpunkt gewinnt der EU-Export an Dynamik, womit typischerweise auch die Exportpreise und mit der Preistransmission die Kassapreise steigen.

Ein solcher Verlauf ist zwar keineswegs garantiert, da jede Vermarktungssaison ihre Besonderheiten hat (s. Preisverläufe in den Grafiken 1 und 2). Doch zeigen sich auch immer wie­derkehrende Muster in den Zeitrei-hen. Das Marktgeschehen sollte man also stets im Blick behalten und dazu einschlägige Portale wie das des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen (LLH) unter www.llh.hessen.de/unternehm... nutzen.

 – LW 22/2020