In Zukunft intensiver und ökologischer wirtschaften
Agrartag der TH Bingen zur Digitalisierung
Die Digitalisierung schreitet in der Landwirtschaft voran. Das bietet Chancen, die Nachhaltigkeit und Ökologisierung von Verfahren zur Produktion von Lebensmitteln zu verbessern, birgt aber auch Risiken bei der Datensicherheit und hinsichtlich eines möglichen Totalausfalls der Produktionskette. Diesen Themen widmete sich der Agrartag an der Technischen Hochschule Bingen.
Die Anforderungen an die Betriebsleitung hinsichtlich Management, Berücksichtigung gesetzlicher Auflagen und Kommunikation werden immer komplexer und bedürfen angepasster Arbeitsabläufe in den Betrieben. Dementsprechend hob der Dekan des biologisch-naturwissenschaftlichen Fachbereichs 1, Prof. Clemens Wollny, die Bedeutung hochwertiger Daten für die Landwirtschaft hervor. Er stellte den gut 200 Besuchern der von seinem Fachbereich organisierten Tagung in Aussicht, dass die Digitalisierung die Landwirtschaft ökologisch und ökonomisch nach vorne bringen werde.Bevölkerung bei digitaler Landwirtschaft mitnehmen
Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, sprach in einem Impulsvortrag darüber, wie man Zielkonflikte zwischen der Digitalisierung und der Erwartungshaltung der Bevölkerung bezüglich der Landwirtschaft entschärfen kann. „Die Leute haben ein romantisiertes Bild von der Landwirtschaft, das leider noch heute beispielsweise in Schulbüchern, aber auch in der Werbung vermittelt wird. Wir müssen kommunizieren, dass Landwirtschaft ein hochinnovativer Wirtschaftszweig ist.“
Man müsse den Verbrauchern klarmachen, dass innovative Technik Umweltbelastungen, zum Beispiel durch eine Senkung des PflanzenschutzmittelÂeinsatzes, verringern kann. Klöckner: „Wir müssen das Bauchgefühl der Leute aber auch mitnehmen und zeigen, dass Landwirtschaft beides bietet: Ursprünglichkeit und Hightech.“ Hier forderte sie die Landwirte auf, sich öffentlich einzumischen, etwa durch Leserbriefe und in sozialen Netzwerken.
Die Ministerin führte weiter aus, dass in ihrem Ministerium ein eigenes Referat zur Digitalisierung eingerichtet worden sei und man 900 Mio. Euro für Forschung und Entwicklung ausgebe. „Wir müssen in Sachen digitale Landwirtschaft mithalten und dürfen nicht zurückfallen“, mahnte Klöckner. Sie sprach sich für einen schnellen Ausbau des 5G-Mobilfunknetzes aus und hatte hierfür ein treffendes Bild parat: „Wir brauchen nicht nur Datenautobahnen, sondern auch Datenfeldwege.“
Effektive Wirtschaftsweise sichert die Betriebsnachfolge
Der Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz, Dr. Volker Wissing, stellte in seinem Impulsvortrag fest: „Die Digitalisierung betrifft alles und jeden.“ Sie ermögliche entsprechend der immer komplexeren Anforderungen hochindividuelle Lösungen auch für landwirtschaftliche Betriebe. Die notwendigen Effizienzsteigerungen, die auch den Ressourcenschutz beinhalten müssten, seien nur mit der „Landwirtschaft 4.0“ zu leisten.
„Um Gelder gerecht zu verteilen, ist Bürokratie unabdinglich, aber mittels anwenderfreundlicher Software-Lösungen für die Betriebe kann der Aufwand für den Einzelnen überschaubar gehalten werden“, so der Minister. Rheinland-Pfalz unterstütze die Landwirte hierbei mit der kostenlosen Bereitstellung von Geodaten und der Entwicklung einer sicheren digitalen Infrastruktur, beispielsweise der GeoBox. Der weitere Ausbau des Mobilfunknetzes müsse von staatlicher Seite unterstütz werden, da es sich für private Anbieter auf dem Land oft nicht rechne.
„All diese Maßnahmen sollen unsere Betriebe wettbewerbsfähig halten und nachfolgenden Generationen eine interessante, zukunftsträchtige Perspektive bieten.“ Das könne auch die Chancen auf eine Betriebsnachfolge verbessern.
Auch mal andere das Lehrgeld bezahlen lassen
Prof. Thore Toews war bei seiner Moderation der Meinung; dass man „nicht immer ganz vorne mit dabei sein muss, denn das kostet auch immer Lehrgeld.“ Entscheidend sei aber, den Anschluss nicht zu verpassen.
Damit die heimischen Betriebe in die Lage versetzt werden, die Digitalisierung zu ihrem Vorteil zu nutzen, stelle Rheinland-Pfalz mit der „GeoBox-Infrastruktur“ einen Lösungsansatz bereit, der den Bedarf der Landwirte an digitalen Anwendungen in vielerlei Hinsicht decke:
- Kostengünstig und benutzerfreundlich
- Jederzeit leicht zugängliche, gebündelte, standardisierte Daten
- Unkomplizierter Datentransfer zwischen Betrieben und Dritten
- Datensicherheit und Datenhoheit.
Wie Dr. Volker Wenghoefer vom Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz erläuterte, wolle das Land die Chancen der Digitalisierung nutzen, um den Ressourceneinsatz der Betriebe zu optimieren, die Umwelt zu schonen, überbetriebliche Strukturen zu fördern und auch die Risiken einer digitalisierten Landwirtschaft zu minimieren.
Rheinland-Pfalz stelle der Landwirtschaft amtliche Geobasisdaten über das Mobile AgrarPortal (MAPrlp) kostenlos zur Verfügung. Der Funktionsumfang der hierzu eingesetzten GeoBox-Infrastruktur sei auf das überbetriebliche Smart Farming ausgerichtet. Bausteine hierzu seien das GeoBox-Programm zur Verwaltung von Betriebsdaten sowie Apps zur mobilen Nutzung von Geoinformationen; zur Dokumentation der Bewirtschaftungsdaten und zum überbetrieblichen Daten-Austausch.
„Digital optimierte Prozesse entlasten die Umwelt, sparen Zeit und Kraftstoff und können helfen, Ökosystemleistungen mit vertretbarem Aufwand zu dokumentieren. Wenn wir es schaffen, Datenhoheit und Datensicherheit zu gewährleisten, trägt die Digitalisierung zur Nachhaltigkeit der Landwirtschaft bei“, sagte Wenghoefer. Denn seiner Ansicht nach ist die Datensicherheit eine staatliche Aufgabe, die man nicht der Wirtschaft überlassen könne.
Datenaustauschplattform agrirouter von DKE
Ebenfalls eine Datenaustauschplattform für Landwirte und Lohnunternehmer stellte Dr. Johannes Sonnen von DKE Data in Osnabrück vor. Mit dem „agrirouter“ könnten Maschinen und Agrarsoftware herstellerübergreifend verbunden werden und so die oft ungenutzten Datenmengen, die ständig bei landwirtschaftlichen Maschinen anfallen, sinnvoll genutzt werden.
„Der agrirouter transportiert Daten, aber er speichert sie nicht“, betonte der Referent. Um eine hohe Kompatibilität zu erreichen, seien derzeit elf führende Landtechnikhersteller von AGCO bis SDF Partner des Projektes; auch die zuvor vorgestellte GeoBox sei kompatibel.
„Sie als Anwender behalten die vollständige Kontrolle über Ihre Daten. Auch der Datenaustausch mit Dienstleistern wie Lohnunternehmern oder anderen Partnern ist unkompliziert. Durch die Onlineanbindung werden Daten sehr schnell transportiert und, wenn Sie das möchten, intelligent miteinander verknüpft. Aber nur Sie bestimmen, wer was lesen kann.“
Der agrirouter-Account sei kostenfrei; Nutzungsgebühren entstünden für den Datentransport via agrirouter und würden dem Nutzer von seinem App-Anbieter in Rechnung gestellt. Hinzu kämen Mobilfunkgebühren für den Datentransport zwischen Maschine und agrirouter.
Nachrüsten oder Maschinen-Neukauf?
Ralph Pelz, Sales Manager bei Reichhardt Steuerungstechnik, Hungen, zeigte Möglichkeiten und Grenzen einer elektronischen Nachrüstung von Bestandsmaschinen auf. Ein Vorteil solcher Lösungen sei der geringere „ökologische Fußabdruck“ bei Nachrüstung vorhandener Technik gegenüber dem Kauf von intelligenten Neumaschinen. Der Nachteil der geringeren Restlaufzeit könne dadurch ausgeglichen werden, dass die Nachrüsttechnik auch auf andere Maschinen portierbar sei.
Aber auch Nachteile bei Nachrüstungen sieht Pelz: „Nicht alles lässt sich nachrüsten, und die Integrationstiefe neuer Maschinen ist so nicht erreichbar.“ Außerdem ließen sich nicht immer alle Nachrüstkomponenten unter den Verkleidungen unterbringen.
Tops und Flops in der Digitalisierung
Prof. Thomas Rademacher, FH Bingen, sprach über Tops und Flops bei der landwirtschaftlichen Digitalisierung und machte als Gründe für gescheiterte Vorhaben gesetzliche, sicherheits-technische und auch Akzeptanz-Probleme aus. Beispielsweise sei eine sehr effiziente Ertragserfassung am Mähdrescher mittels Gammastrahlen der dänischen Firma Dronningborg daran gescheitert, dass Lebensmittel nicht in dieser Form bestrahlt werden dürfen. Ein weiteres Beispiel sei das „Leader-Follower-System“, wobei ein unbemannter Traktor einem mit Fahrer nachfolgt. Dies sei bis heute wegen Sicherheitsbedenken nicht in die Praxis umgesetzt worden.
Eine Möglichkeit für die Industrie, Systeme in die Praxis zu bringen, die an der Kundenakzeptanz scheitern – vor allem, weil diese nicht bereit sind mehr zu zahlen – bestehe darin, Anwendungen in die Serienausstattung einzubringen, so Rademacher. Viele Lösungen, von denen Landwirte früher gesagt hätten: „brauch ich nicht, zahl ich nicht“, seien heute nicht mehr von den Feldern wegzudenken. Und so lautete auch Rademachers Fazit: „Trotz einiger Flops ist die Entwicklung von Informationstechniken in der Landwirtschaft für die Betriebsleiter insgesamt top.“
Entspricht dem Tierwohl und Verbraucheranforderungen
„Smart Farming – clevere Landwirtschaft“ lautete das Thema des Vortrages von Dr. Jürgen Luft, LLH Alsfeld. Er legte seinen Schwerpunkt auf die Digitalisierung im Milchviehstall und zeigte, wie mit Sensoren und intelligenten Software-Lösungen auch große Viehbestände individuell und tiergerecht betreut werden können. „Mittels Transponder-Ausstattung jedes einzelnen Tieres kann man heute sofort Probleme erkennen und gegensteuern, oder auch beispielsweise durch Brunsterkennung und Abkalbe-Überwachung die Herde tierindividuell führen.“
Für Luft ergeben sich aus dem Smart Farming Chancen für eine „ökologische Intensivierung“, eine stärkere Berücksichtigung des Tierwohls und der Verbraucheranforderungen sowie eine erhöhte Attraktivität der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft – mit den daraus folgenden Herausforderungen für Bildung und Weiterbildung.
Ressourceneffizienz im Weinbau software-basiert verbessern
Prof. Elke Hietel, Leiterin des Fachgebiets Landschaftsökologie und Biodiversität an der TH Bingen, erläuterte „Zielvorstellungen zur nachhaltigen Landwirtschaft aus der Sicht des Umweltschutzes mit Hilfe von Digitalisierungstechniken“. Am Beispiel des Projekts „ResWein“ zeigte sie, wie die Ressourceneffizienz im Weinbau durch eine geodaten- und softwarebasierte Erfassung von Umweltwirkungen und ihre Bewertung durch Umweltindikatoren erhöht werden kann. In Zusammenarbeit mit dem Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum, Weinbaube-trieben, Datenschutzexperten und Maschinenherstellern würden hierzu Umwelt-Aspekte und -Indikatoren in der gesamten Wertschöpfungskette der Weinproduktion auf Grundlage eines weinbaufachlichen Kriterienkatalogs identifiziert. Das System soll es den Anwendern ermöglichen, ein umfassendes Material-, Energie- und Stoffstrommanagement aufzubauen sowie die Treibhausgasemissionen der Wertschöpfungskette zu bewerten.
Hietels Ansicht nach kann Digitalisierung zu Umweltentlastungen führen. Dazu müsse die Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz verbessert, beziehungsweise gefördert werden. Voraussetzungen seien eine systematische und flächendeckende Erfassung von Geo-Daten, offene Datenaustauschplattformen und benutzerfreundliche Softwarelösungen. Auch sie forderte eine stärkere Integration der Digitalisierungstechniken in die Ausbildung.
KB – LW 45/2018