Erinnerungen aus dem Landleben
„coronarchiv“ sammelt Beiträge rund um die Pandemie
Das freie und offene Online-Portal coronarchiv sammelt seit März 2020 individuelle Alltagserfahrungen, Erlebnisse, Gedanken und Erinnerungen an die Corona-Pandemie. Jeder kann dazu beitragen. Auch die LW-Leser sind eingeladen, sich zu beteiligen.

Foto: Silke Bromm-Krieger
Digitale Sammlung
„Was diese Pandemie im Vergleich zu den historischen Pandemien so anders macht, ist, dass wir heutzutage die technischen Möglichkeiten der Selbstdokumentation in Ton, Text und Bild haben“, meint der Juniorprofessor für Public History an der Universität Hamburg. Menschen könnten hier das eigene Erleben dokumentieren, veröffentlichen und mit anderen teilen. „Es ist ein offenes Dokumentieren, nicht nur ein Dokumentieren für Forschungszwecke der Universität. Wir nehmen die digitalen Beiträge entgegen, prüfen sie und stellen sie zeitnah den Nutzern des Portals zur Verfügung“, erläutert der 46-Jährige die Vorgehensweise.

Foto: imago/Frank Sorge
Ein Kind von einem Hof berichtet
Berührend ein Text von Schülerin Merle, die auf einem landwirtschaftlichen Betrieb wohnt. Aus Kindersicht beschreibt sie ihren Alltag in der Pandemie. „Durch die Corona-Zeit habe ich gemerkt, wie toll es ist, auf einem Bauernhof zu leben“, berichtet die Elfjährige und verrät, dass ihr persönlicher Glücksfall in der Pandemie Hofhund Harry ist. Mehr Zeit als vorher verbringe sie mit ihm. „Durch das gemeinsame Kümmern und Spielen ist er so vertrauensvoll zu uns geworden, dass er ein richtiger Familienhund geworden ist. Irgendwie ein richtiger Freund. Und wenn's mal Stress gibt, kann man ihm einfach alles erzählen. Er spendet uns allen Freude und Trost.“
Weinflaschen als Abstandsmaß
Zum Schmunzeln ist ein Plakat aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020, das eine Ober-Ingelheimerin im coronarchiv hochlud. Auf ihm gibt das Land Rheinland-Pfalz Anweisungen, was das Abstandhalten angeht. Neben einer entsprechenden Grafik ist dort zu lesen: „Abstand in Rheinland-Pfalz: mind. 18 Flaschen Wein.“
Mitmachen
Unter coronarchiv.blogs.uni-hambu... können Beiträge aus 2020 und 2021 hochgeladen werden. Hier kann man auch als Suchbegriff seinen Wohnort oder sein Bundesland eingeben und dann schauen, welche Beiträge von dort bereits vorhanden sind.
sbkLandwirtschaftliche Funde
Thorsten Logge weiß, dass es bei den Beiträgen ein Stadt-Land-Gefälle gibt. Insbesondere Beiträge mit Bezug zur Landwirtschaft und zum Landleben sind rar gesät. Das will der engagierte Historiker gerne ändern. „Der Alltag der Landbevölkerung und der Alltag von landwirtschaftlichen Familien gehören dokumentiert. Deshalb freuen wir uns ganz besonders über neue Beiträge aus diesem Bereich“, ermutigt er Landwirte, Winzer, Landfrauen, Landjugend und Landsenioren aktiv zu werden. Schließlich fanden und finden im landwirtschaftlichen Umfeld etliche Aktionen statt, die es wert sind, für die Nachwelt dokumentiert und erhalten zu werden. Sind von Aktionen oder einfach vom Alltagsleben auf den Höfen Fotos und/oder Digitalisate vorhanden? Dann ab ins coronarchiv und teilen! „Für die Geschichtsschreibung ist es enorm wichtig, dass wir davon wissen. Selbst dann, wenn sich gefühlt im eigenen Leben gar nicht so viel verändert hat, ist auch das eine Beobachtung von Bedeutung. Was nicht archiviert wird, findet später nur schwer den Weg in die Geschichtsschreibung und geht unwiederbringlich verloren“, gibt Logge zu bedenken.
Überlieferung bewahren
Der Wissenschaftler freut sich, dass das coronarchiv im März 2021 seinen ersten Geburtstag feierte. Seitdem sind über 5 000 Beiträge von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zusammengekommen. Das coronarchiv wurde damit zu einer der größten Sammlungen in diesem Bereich.
Wie werden wir weiter mit Corona leben? Wird es durch die zunehmende Anzahl an Impfstoffen und Impfungen eine nachhaltige Entspannung der Lage geben? Eines bleibt zu hoffen: Irgendwann wird die Pandemie der Vergangenheit angehören. Wie die Menschen dann rückblickend von ihr sprechen und denken, wird maßgeblich davon geprägt sein, welche Spuren noch sichtbar sind.
„Das coronarchiv möchte dafür sorgen, dass die Überlieferung so facettenreich wie unsere aktuelle Lebenssituation ist. Eine vielfältige Gesellschaft braucht vielfältige Erinnerung“, ist Logge überzeugt.
Silke Bromm-Krieger – LW 29/2021