Raus aus der Zwickmühle

Landwirtschaftliche Familienberatung hilft, neue Wege zu finden

Die Landwirtschaftliche Familienberatung der Kirchen bietet Rat und Hilfe bei der Bewältigung von familiären, betrieblichen oder auch finanziellen Schwierigkeiten an. Dabei mag es für den einen oder anderen durchaus eine Hürde sein, einen Berater in einer problematischen Situation zu kontaktieren. Doch gerade mit Unterstützung von neutralen Außenstehenden ist es gut möglich, individuelle Lösungen für die Zwickmühle zu finden. Schweigepflicht ist für die Berater selbstverständlich. Im LW-Gebiet gibt es Beratungsstellen in Hessen, Rheinhessen und der Pfalz. Das LW hat bei Pfarrer Sascha Müller von der Landwirtschaftlichen Familienberatung der Pfalz nachgefragt, wie die Institution arbeitet.

Pfarrer Sascha Müller engagiert sich unter anderem als Berater der Landwirtschaftlichen Familienberatung in der Pfalz.

Foto: privat

LW: Seit wann gibt es die Landwirtschaftliche Familienberatung, die landläufig auch als „Sorgentelefon“ bezeichnet wird, eigentlich?

Pfarrer Sascha Müller: Das „Bäuerliche Sorgentelefon“ wurde in der Pfalz bereits 1994 von der Evangelischen Kirche der Pfalz und dem Bistum Speyer gegründet. Das ursprüngliche Konzept sah eine rein telefonische Beratung speziell für Bauern- und Winzerfamilien vor. Recht schnell wurde aber klar, dass es mit einer rein telefonischen Beratung nicht getan ist: Die Beratungsanliegen waren sehr komplex, sodass 1998 die Landwirtschaftliche Familienberatung der Kirchen ihre Arbeit aufnahm.

LW: Was bieten die Beratungsstellen, und wer kann sich an sie wenden?

Müller: Schwerpunkt unserer Beratung sind Fragen, die sich speziell in familiär geführten landwirtschafts- und Winzerbetrieben ergeben: Wie sieht die Arbeitsbelastung und -verteilung aus und wie wirkt sich das zwischen den Generationen und auch innerhalb der Betriebsleiterfamilie beziehungsweise der potenziellen Betriebsnachfolger aus? Hinzu kommen Beratungen bei drohender Arbeitsüberlastung, bei finanziellen Sorgen sowie insbesondere bei Fragen der Hofübergabe.

LW: Wie viele Ratsuchende kontaktieren Sie innerhalb eines Jahres?

Müller: In der Pfalz beraten wir pro Jahr rund 40 Betriebe. Die gleiche Beratungszahl kommt in Rheinhessen dazu.

LW: Gibt es Jahreszeiten, in denen mehr Rat nachgefragt wird? Woran liegt das?

Müller: Erwartungsgemäß gibt es im Winterhalbjahr zwischen November und Februar insgesamt eine etwas stärkere Nachfrage. Wir sind aber personell so ausgestattet, dass in aller Regel zu keiner Jahreszeit mit längeren Wartezeiten zu rechnen ist.

LW: Sind es mehr Junge, Alte, Frauen, Männer?

Müller: Noch immer suchen Frauen häufiger um Beratung nach, wobei die Männer in den vergangenen Jahren aufgeholt haben: Es gilt mittlerweile auch bei Männern nicht mehr als Schwäche, sondern als vernünftig, sich bei familiär-betrieblichen Herausforderungen beraten zu lassen.

Auch im Hinblick auf das Alter der Ratsuchenden ist ein Wandel festzustellen: Die Ratsuchenden werden mittlerweile jünger. Der Schwerpunkt derjenigen Personen, die den Kontakt aufnehmen, hat sich von den über 60-Jährigen hin zu die 40- bis 50-Jährigen verlagert. Beraten werden häufig auch ganze „Familiensysteme“, bei denen verschiedene Generationen eingebunden werden.

LW: Mit welchen Fragestellungen und Problemsituationen wenden sich die Ratsuchenden an die Landwirtschaftliche Familienberatung?

Müller: Unsere Hauptaufgabenstellung ist es nach wie vor, an der Schnittstelle zwischen Familie und Betrieb zu beraten: Übergangs- und Nachfolgelösungen gehören zu diesem Spektrum, aber auch Fragen der Arbeitsaufteilung und der Zukunftsperspektiven. Hinzu kommen Themen aus der klassische Familien- und Eheberatung, sofern sie durch die besondere Situation im landwirtschaftlichen Betrieb geprägt sind. Auch bei finanziellen Sorgen und Zukunftsängsten beraten wir. Generell beziehen wir andere Beratungsdienste mit ein und stellen auf Wunsch Kontakte zu diesen her.

Landwirtschaftliche Familienberatung der Kirchen auf einen Blick

Rat und Hilfe bei der Bewältigung von familiären, betrieblichen oder auch finanziellen Schwierigkeiten

  • Für Hessen: 06691/23008, E-Mail: lfb.lka@ekkw.de
  • Für die Pfalz: 0631/3642-203, E-Mail: info@lfbk.de
  • Für Rheinhessen: 06131/2874455, E-Mail: e.simon@zgv.info

LW: Haben sich die Themen im Zeitverlauf verändert?

Müller: Generell zeigt sich, dass Anfragen bezüglich finanzieller Belastungssituationen zurückgehen: Betriebe, die nicht rentabel sind, werden häufig aufgegeben beziehungsweise finden keinen Nachfolger mehr. Zugenommen hat hingegen das Thema „Arbeitsüberlastung und Burn Out“.

LW: Womit hängt das zusammen?

Müller: Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass Betriebe zusätzliche Betriebszweige aufgebaut haben, der Betrieb dadurch komplexer geworden ist und es immer he­rausfordernder wird, die ganzen damit verbundenen Anforderungen zu bewältigen. Hinzu kommt ein Rollenwandel: Frauen sind nicht mehr automatisch bereit, sich auf Haushalt und Betrieb zu beschränken, sondern sind auch in anderen Bezügen berufstätig, fallen somit als volle Arbeitskraft aus – oft zum Missfallen der älteren Generation, die noch auf dem Betrieb lebt.

Junge Betriebsleiter haben zudem ein anderes Selbst­verständnis im Hinblick auf ihre Familienrolle: Sie wollen nicht nur Ernährer sein, sondern eine aktive Rolle in der Kindererziehung übernehmen. Generell kann man sagen, dass sich alte Rollenbilder auflösen. Neue Rollenbilder, die mit der zuneh­menden Komplexität gut zurechtkommen, sind aber erst noch zu entwickeln. Dabei leisten wir mit unserer Beratungsarbeit Unterstützung.

LW: Wie kann die Landwirtschaftliche Familienberatung hier helfen?

Müller: Generell geht es uns darum, Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Wir erörtern die Situation mit den Ratsuchenden und bringen neue Sichtweisen ein. Im Konfliktfall zwischen verschiedenen Personen/Parteien besteht die erste Hauptaufgabe darin, gelingende Kommunikation jenseits des Anschreiens und der Vorwürfe sicherzustellen, Bedürfnisse abzufragen und nach Lösungen zu suchen, bei denen alle Beteiligten gewinnen.

Generell ist es unser Anliegen, die bei dem oder den Ratsuchenden vorhandenen Fähigkeiten und Kompetenzen zu aktivieren, um schwierige Situationen zu meistern. Häufig geht es darum, zunächst ein gemeinsames Ziel zu finden, das für alle Beteiligten attraktiv ist, und dann zu schauen, wer was zur Erreichung dieses gemeinsamen Ziels beitragen kann. Wir orientieren uns also eher an der Frage, wer welchen Beitrag leisten kann, und weniger daran, wer die ungute Situation herbeigeführt hat. Die Klärung der Schuldfrage ist in aller Regel vergangenheitsbezogen, unser Ziel ist es, den Fokus auf eine erstrebenswerte Zukunft zu legen.

LW: Zum Team: Wer berät mit welchen Vorkenntnissen?

Müller: Wir sind zurzeit in der Pfalz eine Beraterin und zwei Berater. Wir haben eine Ausbildung in systemischer Organisationsberatung, zudem sind zwei Berater in hypnosystemischem Coaching am renommierten Milton-Erickson-Institut in Heidelberg ausgebildet. Regelmäßige Fortbildungen sind uns zur Qualitätssicherung wichtig, ebenso die Reflektion und Besprechung unserer Arbeit in Supervisionen.

LW: Wie finanziert sich die für die Ratsuchenden kostenlose Beratung?

Müller: Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz unterstützt die Arbeit der Landwirtschaftlichen Familienberatung mit einem Zuschuss, der Großteil der Kosten wird aber von den Kirchen getragen. Zudem haben wir im Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd einen wichtigen Partner.

LW: Wie kann man Sie oder Ihre Kollegen für eine Beratung erreichen?

Müller: Neu ist die Telefonnummer im Beratungsgebiet Pfalz. Seit April sind wir unter 0631-3642-203 erreichbar. Sollten die Berater gerade im Gespräch sein, kann auf der Mailbox eine Nachricht hinterlassen werden. Zudem sind wir per E-Mail unter info@lfbk.de erreichbar. Die Beratung in Rheinhessen ist unter 06131/28744-55 beziehungsweise per E-Mail unter e.simon@zgv.info erreichbar.

Besonders wichtig ist uns, dass die Beratung absoluter Verschwiegenheit unterliegt. Unser Ziel ist und bleibt es, Familien in Landwirtschaft und Weinbau dabei zu unterstützen, gut arbeiten und gut leben zu können.

Die Fragen stellte Stephanie Lehmkühler – LW 21/2015