Stress und Lebensfreude

Auf persönliche Warnsignale achten

Kaum ein landwirtschaftlicher Betrieb kann weitermachen wie in den zurückliegenden Jahren. Agrarpolitische und gesellschaftliche He­rausforderungen erfordern eine ständige Anpassung. Der Druck auf die Betriebsleiter und Betriebsleiterinnen steigt dabei ständig. Wie kann man den Anforderungen gerecht werden, ohne dabei als Mensch mit seinen persönlichen Bedürfnissen auf der Strecke zu bleiben? Peter Jantsch, Diplom-Agraringenieur und systemischer Coach, liefert hilfreiche Antworten.

Haben Sie sich heute schon einmal erlaubt, glücklich zu sein?

Foto: imago images/Panthermedia

In den Bemühungen, den Betrieb zu erhalten oder ihn fit für die Zukunft zu machen, wird oft nur die betriebliche Seite gesehen und dabei vergessen, dass der Familienbetrieb auf den Schultern, den Herzen und den Köpfen der Familie liegt, die ihn betreiben. Immer sind der Betriebsleiter, die Betriebsleiterin oder die Familienangehörigen der zentrale Ort, wo die jeweilige Entwicklung gedacht, umgesetzt und durchgetragen werden muss.

Sind die Betriebsleiter nicht voll leistungsfähig, weil sie unter Dauerstress stehen, ungelöste Konflikte vor sich herschieben oder erschöpft und unzufrieden sind, können sie diese Entwicklungsschritte nicht überlegt und beherzt gehen. Ein kraftvoller Betrieb braucht kraftvolle Betriebsleiter!

Entwicklung bedeutet, sich an sich verändernde Umstände anzupassen. Dafür müssen notwendiges Wissen, verändertes Verhalten oder neue Strategien erlernt werden. Die Bedeutungen von fachlicher Qualifizierung und Weiterbildung im Sinne von lebenslangem Lernen ist unbestritten. Dabei wird oft übersehen, dass der Mensch als Persönlichkeit auch Entwicklung braucht. Wo aber sollen diese persönlichen Themen gelernt und eingeübt werden? Und wann ist dafür Zeit?

Ziele setzen

Eine zukunftsorientierte Entwicklung muss Betrieb und Betriebsleiter im Blick haben. Durchweg ist es das Setzen von richtigen Zielen und Prioritäten, die über den Erfolg entscheiden. Dabei ist das gleichermaßen eine persönliche wie eine innerfamiliäre Angelegenheit. Ob der eingeschlagene Weg funktioniert, liegt in den meisten Fällen dann nicht allein an betriebswirtschaftlichen Zahlen, sondern auch an gemeinsamen Werten, an der gegenseitigen Wertschätzung und Aufmerksamkeit, an gelingender Kommunikation, an der Qualität der Betriebsleiter-Partnerschaft und am Vermögen, mit Rückschlägen, Frustrationen und anhaltender Anspannung umzugehen. Betriebsentwicklung geht nicht ohne Entwicklung der Betriebsleiterpersönlichkeit.

Probleme wahrnehmen

Wenn am Traktor die Kontroll­leuchte für den Öldruck aufleuchtet, so ist es keine gute Strategie, die Birne herauszudrehen oder die Lampe zu überkleben. Die leuchtende Lampe an sich ist nicht das Problem, es zeigt ein Problem an anderer Stelle an, welches nicht so leicht direkt wahrnehmbar ist.

Ähnlich verhält es sich mit persönlichen „Warnlampen“ wie zum Beispiel Schlafstörungen, anhaltender Streit, distanziertes Schweigen oder fehlende Nähe. Auch hier liegt die Lösung nicht allein darin, das störende Symptom zu beseitigen, sondern man muss auch die Ursache für dieses Warnzeichen finden.

Stress zu haben, ist normal –wenn er befristet ist und einem ermöglicht, kurzzeitig Höchstleistung abzurufen. Problematisch ist, wenn aus Stress Dauerstress wird und man in eine Burnout-Dynamik kommt. Aber das ist auch eine Frage von persönlichem Umgang mit Stress und dem Beachten von „Warnlämpchen“.

Positionen klären

Auch Streit zu haben, ist normal. Es ist ein alltäglicher Vorgang, verschiedener Meinung zu sein oder aufgrund unterschiedlicher Werte Situationen gegensätzlich einzuschätzen. Auch unterschiedliche Bedürfnisse zu haben, ist völlig üblich. Nicht inhaltliche Differenzen sind in der Regel das Problem, sondern wenn die Konfliktpartner sich in ihrer Persönlichkeit verletzt fühlen. Mit aufmerksamer Kommunikation lassen sich unterschiedliche Positionen klären und so verhindern, dass aus einer Differenz in der Sache ein Konflikt zwischen den Personen wird.

Neues lernen

Bei Krisen, akutem Stress oder lang anhaltender Ratlosigkeit ist es notwendig, neues Verhalten zu lernen. Ein konstruktiver Umgang mit Dauerstress, mit belastenden Situationen oder Konflikten ist erlernbar, das Führen einer glücklichen Beziehung auch. Dafür gibt es bewährte Methoden und Techniken. Das Gehirn ist dafür optimiert, zu lernen. Um Neues zu lernen, muss nicht in teure Technik investiert werden, es benötigt auch kein jahrelanges Studium. Oft reichen wenige Stunden oder Tage, um ein paar wesentliche Werkzeuge kennenzulernen, damit man zu tiefgreifenden Veränderungen kommen kann. Und dann gilt es, erwünschte Veränderungen im Alltag zu üben und zu etablieren.

Tägliche Impulse

  • Kurze Pausen einlegen
  • Bewusst atmen und sich wahrnehmen
  • Freude und Glücksmomente zulassen
  • Ãœber sich reden, dem andern aufmerksam zuhören
  • Kleine Zeichen der Liebe setzen: ein Blumenstrauß, ein Zettel mit liebevollen Worten
  • Wertschätzung aussprechen
  • Für Entspannung und körperlichen Ausgleich sorgen
  • Sich bewusst machen, was alles gut läuft
Jantsch, www.veraenderung.jetzt

Das Wichtigste ist eine veränderte Art der Aufmerksamkeit, des Innehaltens und der achtsamen Begegnung mit sich und seinen nächsten Menschen. Das ist vor allem eine Frage der Haltung. Und dafür kann man, muss man sich entscheiden: Jede Minute neu, immer wieder, Tag für Tag.

Glücklich sein

Es mag verwunderlich klingen, wenn man aufgefordert wird, glücklich zu sein, obwohl man im Stress ist. Ist Glück nicht eine Folge glücklicher Umstände? Tatsächlich ist es schwer, auf Knopfdruck glücklich zu sein. Aber viel zu oft macht man Glücksempfinden oder Zufriedenheit von Umständen abhängig, auf die man keinen Einfluss hat. Oft erlaubt man sich nicht, glücklich zu sein, solange es noch Umstände gibt, die schwierig sind, unbefriedigend oder die das Potenzial haben, dass man selber oder andere Menschen darunter leiden. Darf man erst Glück empfinden, wenn alle Probleme gelöst sind? Dabei ist es so wichtig, die kleinen Momente des Glücks wahrzunehmen und sich diese zu erlauben. Beispiele sind: eine liebevolle Begegnung, erste Frühlingsboten, ein leckeres Essen, eine komische Situation oder einfach nur ein kurzes Lächeln.

Eine Frage der Haltung

Lebensfreude und Alltagsqualität zu leben, ist kein Luxus, der erst angegangen werden darf, wenn die Pflicht erledigt ist. Im Gegenteil. Es ist der Ausdruck einer funktionierenden Strategie, sich selbst so zu organisieren, dass man in seinem persönlichen Leistungsoptimum steht.

Kühe benötigen Trockenstehzeit, um sich zu erholen und um wieder Hochleistung erbringen zu können. Wann ist aber die „Trockenstehzeit“ der Betriebsleiter? Freiräume für Erholung, um Glücksmomente zu genießen oder Beziehungen bewusst zu pflegen, kommen nicht von alleine, die muss man sich freischaufeln. Lebensqualität ist nicht das Ergebnis einer funktionierenden Betriebsführung, sondern die Grundlage dafür.

 – LW 11/2020