Trauern per Mausklick?

Virtuelle Friedhöfe sind weltweit und jederzeit erreichbar

Wie passen Trauer und das Internet zusammen? Offenbar zunehmend gut. Während auf den realen Friedhöfen die Zahl der anonymen Bestattungen steigt, weil es keine Angehörigen gibt, die das Grab pflegen wollen oder können, wächst seit Beginn der 1990er Jahre die Zahl der virtuellen Friedhöfe. Vor allem Menschen, die mit dem Computer aufgewachsen sind, nutzen die moderne Technik, um ihrer Trauer in Online-Trauer-Portalen, Trauer-Blogs, Gedenkseiten, Chats und Foren Ausdruck zu verleihen.

Auf dem Land sind Familiengräber selbstverständlich. Doch mittlerweile gibt es auch Trauerorte im Internet.

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Auf virtuellen Friedhöfen kann man einen Nachruf verfassen, eine Todesanzeige aufgeben, eine individuell gestaltete Gedenkseite oder eine virtuelle Grabstätte für einen lieben Verstorbenen einrichten und ihm damit ein ewiges Denkmal im Netz setzen. Denn das Internet vergisst ja bekanntlich nichts. Kondolenz­bücher stehen bereit, um möglicherweise die anteilnehmenden Worte anderer zu dokumentieren. Sogar die Trauerkerze, die traditionell auf Gräbern entzündet wird, hat ihren Weg in die virtuelle Welt des Internets gefunden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit lässt sich per Mausklick eine virtuelle Kerze entzünden, die niemals niederbrennt oder im Regen und Wind verlöscht. Mit einem Brief oder Gedicht an den Verstorbenen kann man die eigenen Gefühle ohne jegliche Druckkosten schnell und unmittelbar vor einer weltweiten Community ausbreiten.

Mit Tonaufnahmen, Videos oder Fotos und Texten lässt sich das Leben des Verstorbenen multimedial festhalten. So können sich die Nutzer des virtuellen Friedhofs der Vorstellung hingeben, die Erinnerung vor dem Verlassen bewahren zu können.

Anders als eine reale Grabstätte ist eine Gedenkseite zeitlich unbegrenzt zugänglich – es sei denn, diejenigen, die sie eingerichtet haben, verlangen beim Betreiber die Löschung. Aber auch dann ist die virtuelle Trauerseite nicht wirklich gelöscht. Denn das Internet vergisst nichts.

Wer nicht aller Welt, sondern nur ausgewählten Menschen Zutritt zur virtuellen Gedenkstätte gewähren will, kann den Zugang durch ein Passwort schützen lassen. Dafür ist aber bei manchen Portalen eine Gebühr fällig. Wer beim Online-Auftritt einer Tageszeitung eine Traueranzeige aufgeben will, muss ebenfalls zahlen.

Weltweit und jederzeit erreichbar

„Ein virtueller Friedhof ist weltweit, kosten- und zeitsparend und jederzeit erreichbar, sodass die Hinterbliebenen stets darauf zurückgreifen können“, meinen die Betreiber von www.gedenkseiten.de die Vorteile und den Nutzen solcher virtuellen Trauerräume beschreiben zu können. Zudem könnten Wünsche und Nachrichten von anderen, die ebenfalls um den Verstorbenen trauern, den Hinterbliebenen Kraft geben. Denn so wüssten sie, dass sie nicht allein sind und ihre Trauer mit anderen Menschen teilen können. So könne eine „virtuelle Gemeinschaft“ entstehen, in der man sich gegenseitig helfen könne, „zurück ins Leben zu finden“, heißt es.

Die meisten Gedenkportale versichern, dass sie kostenlos und ohne geschäftliches Interesse betrieben würden. Doch Vorsicht: Nicht selten führt ein Link zu einem Onlineshop, in dem passende Bücher, Videos oder Musik feilgeboten werden. Oder es gibt einen Link zu Steinmetzten, Anbietern von Bestattungen und zu anderen speziellen kommerziellen Angeboten für Trauernde. Sogar den Hinweis auf eine Hellseherin, die ihre Dienste allerdings nicht zum Nulltarif anbietet, hat es schon gegeben.

Online-Angebot der Kirche

Auch die Kirchen melden sich in Sachen Tod und Trauer im Internet zu Wort. Etwa auf www.Trauernetz.de, einem Online-Angebot für Trauernde, das gemeinsam von der evangelischen Kirche im Rheinland, der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, der vereinigten lutherischen Kirche Deutschlands und dem Gemeinschaftswerk evangelischer Publizisten getragen wird. Hier finden die Besucher zwar keine Möglichkeit, online Gedenkstätten mit Ewigkeitscharakter anzulegen, dafür aber hilfreiche Lyrik, Gebete und Meditationstexte, Hinweise auf Trauergruppen in der eigenen Umgebung und das Angebot, mit gut ausgebildeten Pfarrerinnen Kontakt aufzunehmen.

Kristiane Voll ist eine der beiden Seelsorgerinnen, die als Ansprechpartnerin zur Verfügung steht. Die ausgebildete Trauerbegleiterin sieht in dem sich verstärkenden Trend zur Trauer im Internet eine „im Großen und Ganzen positive Möglichkeit“, der dem Bedürfnis, in der eigenen Trauer wahrgenommen zu werden und der Anonymität zu entrinnen, entspringe. Der „Stein der Weisen“ ist die Trauer im Internet allerdings aus ihrer Sicht nicht. Ersatz für reale Begegnung, für Austausch von Angesicht zu Angesicht und für im wörtlichen Sinn berührende Gesten kann ein virtueller Trauerort aus ihrer Sicht nicht sein.

Chancen und Grenzen

Wer im Internet eine Gedenkseite einrichte, versuche womöglich, den Verstorbenen zu ver­ewigen oder ihm Einzigartigkeit zu verleihen. Für trauernde Eltern, Geschwister oder Angehörige von Menschen, die ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben, könnten spezielle Foren oder Chatrooms eine Möglichkeit sein, Gesprächspartner zu finden, die Ähnliches erlebt haben. Das, so Kristiane Voll, könne durchaus tröstend sein.

Nachdrücklich warnt die Pfarrerin allerdings vor der Gefahr des „Internet- Tratsches“. Trauernde, die allzu frei Gefühle oder Erinnerungen preisgäben, könnten womöglich ungewollt das Tor für Mutmaßungen und Gerüchte öffnen, hat die Pfarrerin erlebt. Besonders dann, wenn die Eintragungen im Internet von Menschen aus der näheren Umgebung gelesen und interpretiert werden.

Bei allem Verständnis für Trauernde, die den virtuellen Raum zur Trauerbewältigung nutzen wollen, rät Kristiane Voll dazu, immer auch den Kontakt mit realen Menschen zu suchen. Denn virtuell kann niemand einen anderen in den Arm nehmen, ein Taschentuch zum Tränenabwischen zustecken oder einfach nur still zuhören. Zur gelingenden Trauer gehört auf lange Sicht, den anderen loszulassen und ihn realistisch mit seinen starken und schwachen Seiten zu würdigen und zu res­pektieren. Ob die Trauer im Internet, die momentane Gefühle „verewigt“, dazu wirklich beiträgt, bleibt fraglich.

Karin Vorländer – LW 47/2012