ValiProg bewertet Entscheidungshilfen
Pflanzenschutz-Prognosemodelle prüfen und neue etablieren
Computergestützte Prognosen und Entscheidungshilfen finden seit über 25 Jahren Einsatz in der landwirtschaftlichen Praxis. Basierend auf Wetter- und Schlagdaten bieten sie wertvolle Informationen über das zeitliche und räumliche Auftreten von Schadorganismen sowie den Epidemieverlauf oder die Populationsdynamik. Daraus lassen sich Handlungsempfehlungen im Bereich des Pflanzenschutzes ableiten.

Foto: Kopp
Damit sind sie ein zentrales Element des vorbeugenden und situationsbezogenen Pflanzenschutzes, der die Bekämpfungsnotwendigkeit an allen verfügbaren Kenntnissen zu Befallssituation, erwarteter Befallsentwicklung und vorhandenen Schadschwellen ausrichtet. Somit können Pflanzenschutzmittel sowohl im integrierten als auch im ökologischen Pflanzenbau gezielter und nachhaltiger angewendet werden.
Über 40 wetterbasierte Prognosemodelle für Schädlinge und Krankheiten wurden inzwischen von der ZEPP erfolgreich entwickelt und mit Hilfe der Offizialberatung in die Praxis eingeführt. Nach Erreichen der Praxisreife (mehrjährige Überprüfung der Modelle mit hoher Treffergenauigkeit) werden die EHS über die Online-Plattform isip.de des Informationssystems Integrierte Pflanzenproduktion e. V. zur Verfügung gestellt.
Modelle erfordern ständige Pflege
Der Erfolg von Prognosemodellen und Entscheidungshilfesystemen setzt voraus, dass die Modelle unter Praxisbedingungen überprüft werden, um Prognoseergebnisse und Realität möglichst genau in Übereinstimmung zu bringen. Ein sich im Laufe der Zeit änderndes Sorten- und Pflanzenschutzmittelspektrum sowie Resistenzbildungen gegenüber Pflanzenschutzmitteln können sich negativ auf die Prognosegenauigkeit auswirken. Dies erfordert eine regelmäßige Überprüfung der EHS und gilt auch für langjährig in der Praxis etablierte Systeme.
Die Neueinführung alternativer Bekämpfungs- und Befallsvermeidungsstrategien sowie die Anpassung der Schadorganismen an bestehende Sortenresistenzen machen ebenfalls eine ständige Pflege der Modelle notwendig. Vorhandene Schadschwellen für die Bekämpfungsentscheidung sind zum Teil veraltet oder fehlen für wichtige Schadorganismen. Dies ist unter anderem auf Veränderungen bei der Fitness, Virulenz und Aggressivität der Pathogene sowie bei der Sortenresistenzen zurückzuführen.
Aber auch Veränderungen der epidemiologischen Ansprüche der Erreger bezüglich Temperaturen, Niederschlag und Luftfeuchte und sich wandelnde klimatische Umweltbedingungen können eine Anpassung notwendig machen. Die Veränderung der geographischen Ausbreitung der Schadorganismen oder auch das Auftreten von lokalen Rassen sowie veränderter Sortenspektren bei den Kulturpflanzen sind ebenfalls zu berücksichtigen.
Das Projekt „ValiProg“
Eine Reihe vorhandener und für die ackerbauliche Praxis wichtiger Prognosemodelle und EHS müssen für die Sicherstellung ihrer weiteren Praxistauglichkeit dringend an die dynamische Entwicklung der Wirt-Schadorganismen-Beziehungen angepasst und validiert werden. Dies erfolgt seit Ende 2019 im Rahmen eines groß angelegten Projektes unter der Bezeichnung „ValiProg“ (Computergestützte Prognosen und Entscheidungshilfen im Pflanzenschutz).
Eine Modellüberprüfung und -anpassung erfordert die Erhebung einer breiten Datenbasis an Vergleichsdaten zur Epidemiologie beziehungsweise Populationsdynamik im Rahmen intensiver Bonituren sowie die Analyse der für die Entwicklung der Schadorganismen relevanten Umweltbedingungen. Wichtig ist hierbei, dass die Datenerhebungen in möglichst vielen, sich klimatisch unterscheidenden Regionen Deutschlands erfolgen.
Im Verbundvorhaben „ValiProg“ werden bis 2024 unter der Leitung und Koordination der ZEPP in Zusammenarbeit mit Pflanzenschutzdiensten (PSD) aus sieben Bundesländern (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern), dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (Julius Kühn-Institut) und dem ISIP e. V. 22 vorhandene EHS validiert und angepasst.
Der Fokus des Vorhabens liegt dabei auf wirtschaftlich relevanten Krankheitserregern und EHS für Ackerbaukulturen mit bedeutendem Anteil an der landwirtschaftlichen Produktionsfläche. In diesem Falle beinhaltet das Getreide, Raps, Kartoffel, Zuckerrübe und aufgrund des hohen Einsparungspotenzials auch Spargel.
Entscheidungshilfen im Getreide
Für gleich mehrere Entscheidungshilfen im Getreide stellt die Prognose der Bestandesentwicklung (Ontogenese) ein wichtiges Basismodul dar. Die Berechnung relevanter oder besonders anfälliger BBCH-Stadien läuft meist im Hintergrund der EHS ab, steuert aber wichtige Prozesse wie zum Beispiel bei der Prognose von Halmbruch oder der Septoria. Dem Ontogenesemodell kommt daher eine besondere Bedeutung zu und dessen hohe Treffsicherheit ist maßgeblich für den Prognoseerfolg der nachgelagerten EHS. Im ersten Projektjahr wurden aus diesem Grund an 66 Standorten Exaktbonituren der Bestandesentwicklung in Winterweizen und Wintergerste durchgeführt. Auch in den folgenden Projektjahren soll der Boniturumfang beibehalten werden, um das Modell intensiv prüfen und schärfen zu können.
Darüber hinaus wurden 19 Versuche zur Validierung der Septoria-Blattdürre-Prognose und 16 Versuche zur Prognose von Gelb- und Braunrost durchgeführt. Aufgrund der besonderen Witterungsbedingungen im Jahr 2020 zeigte sich in den Versuchen jedoch meist nur ein sehr spätes und moderates Krankheitsauftreten. Neben den Blattkrankheiten wurden ebenfalls weiträumig Halmbruchinfektionen bonitiert.
Entscheidungshilfen im Raps
Ein besonderer Schwerpunkt im Raps liegt auf der Prognose von Weißstängeligkeit. Das aktuell verfügbare EHS „SkleroPro“ errechnet schlagspezifisch und in Abhängigkeit des zu erwartenden Ertragsverlustes die Behandlungsnotwendigkeit von Sclerotinia sclerotiorum während der Rapsblüte. Dabei werden die Kosten der Fungizidbehandlung dem bei ausbleibender Behandlung zu erwartenden Ertragsverlust gegenübergestellt, wodurch sich eine schlagspezifische ökonomische Bekämpfungsschwelle ergibt.
Zur Überprüfung der modellinternen Befalls-Verlust-Relation führt das JKI intensive Freiland- und Laborversuche durch. Darüber hinaus werden die optimalen Bedingungen für die Apothecienkeimung sowie Sortenunterschiede untersucht. In den am Projekt beteiligten Ländern wurden 2020 sieben Validierungsversuche sowie Sklerotiendepots zur Ermittlung der Keimungsbedingungen angelegt. Ähnlich wie im Getreide zeigte sich auch hier nur ein geringer Befall mit Sklerotinia. An mehreren Versuchsstandorten riet SkleroPro gänzlich von einer Blütenbehandlung ab. Außerdem wurde die Bestandesentwicklung an 22 Standorten beobachtet, um das Ontogenesemodul zu überprüfen und zu optimieren.
Entscheidungshilfen in Kartoffeln
Das langjährig etablierte EHS SIMBLIGHT1 prognostiziert den Behandlungsbeginn für Krautfäule. Das EHS wurde bisher jährlich mit Hilfe von Daten aus den landespezifischen Schaderregerüberwachungen validiert. Hierbei zeigte sich meist ein sehr hoher Anteil rechtzeitiger Prognosen (prognostizierter Behandlungsbeginn vor Erstauftreten), wobei gleichzeitig der zeitliche Sicherheitszuschlag sehr groß war.
Mit Hilfe engmaschiger Spritzfensterbonituren auf repräsentativen Praxisschlägen wird das Erstauftreten im Projekt exakt erfasst und mit der Prognose verglichen. Aber auch die Prognose des Infektionsdrucks (SIMBLIGHT3) und der sich daraus ableitende Spritzabstand soll im Rahmen des Projekts anhand dreigliedriger Feldversuche (Vergleich unbehandelte Kontrolle vs. praxisübliche Anwendung vs. Prognosemodell) erneut überprüft werden. Nach erfolgter Validierung schließt sich bei Bedarf eine Modellanpassung an.
Für die Prognose der Infektionswahrscheinlichkeit von Alternaria solani beziehungsweise A. alternata an Kartoffeln existiert bislang kein EHS bei der ZEPP. Auf Grundlage einer umfangreichen Literaturrecherche und Akquise historischer Daten aus Erhebungen der Pflanzenschutzdienste wird in enger Zusammenarbeit mit dem JKI-SF ein Modellansatz entwickelt. Ziel ist die Prognose des Epidemieverlaufs und der täglichen Infektionswahrscheinlichkeit. Das neue EHS wird zum Ende der Projektlaufzeit zur Verfügung stehen.
Entscheidungshilfen in Zuckerrüben

Foto: Kam
Die Erhebungen im Projekt sehen daher eine intensive Beobachtung des Epidemieverlaufs auf Praxisschlägen vor. Darüber hinaus werden Versuche zur Bekämpfungsstrategie angelegt, um einen neuartigen Modellansatz der Applikationsterminierung zu überprüfen und bis zur Praxisreife zu entwickeln.
Insbesondere im vergangenen Jahr 2020 zeigten neben Cercospora auch andere Blattkrankheiten ihre Relevanz. Da bisher kein praxisreifer Modellansatz zur Prognose der restlichen Blattkrankheiten zur Verfügung steht, beschäftigt sich das JKI-SF in einem Teilprojekt mit der Entwicklung eines EHS für die Schaderreger Ramularia und Mehltau. Zur Bestimmung optimaler Infektionsbedingungen werden Untersuchungen in Klimakammern und -schränken an Keimpflanzen unter definierten Bedingungen durchgeführt. Die neuen Modellansätze werden anschließend mit Befallserhebungen und Versuchsdaten der PSD überprüft und über isip.de zur Verfügung gestellt.
Fazit: Modelle verbessern und erweitern
Das durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geförderte Projekt „ValiProg“ beschäftigt sich mit einer Vielzahl an Entscheidungshilfesystemen und beinhaltet ein ambitioniertes Forschungsprogramm. Ziel ist es, hohe Trefferquoten für bereits verfügbare Prognosemodelle und Entscheidungshilfen zu sichern sowie das Modellportfolio um verschiedene Schaderregerprognosen zu erweitern, die bisher noch nicht bis zur Praxisreife entwickelt werden konnten (beispielsweise Alternaria).
Im ersten der insgesamt fünf Projektjahre wurden an 205 Standorten Ontogeneseverläufe und Befallserhebungen durchgeführt sowie 46 Freilandversuche angelegt, deren Auswertung derzeit noch andauert. Die Validierungsergebnisse zu den einzelnen EHS werden im Projektverlauf auf zepp.info unter „Entscheidungshilfen“ veröffentlicht und jährlich aktualisiert.
Alle Modellanpassungen sowie Neuentwicklungen werden durch den ISIP e.V. implementiert und über die Plattform isip.de einem breitem Nutzerkreis zur Verfügung gestellt. Ab 2022 wird das ISIP-Angebot zudem im Rahmen einer App, dem Elektronischen Beratungsassistenten angeboten. Dieser wird zunächst die verfügbaren Entscheidungshilfen im Getreide abbilden und mit regionalen Befallserhebungen und aktuellen Beratungshinweisen aus der Offizialberatung ergänzen.
Juliane Schmitt, Lisa Bartsch, Lena Müller, Niklas Jacob, Dr. Paolo Racca, Dr. Benno Kleinhenz, Zentralstelle der Länder für EDV-gestützte Entscheidungshilfen und Programme im Pflanzenschutz (ZEPP) – LW 14/2021