Der Wildapfel

Der Baum des Jahres 2013

Nach Speierling, Eberesche, Wildbirne, Vogelkirsche und Elsbeere wurde ein weiterer Vertreter aus der Familie der Rosengewächse zum Baum des Jahres gewählt: der auch als Holzapfel bekannte Wildapfel (Malus sylvestris).

Wildapfelbäume können bis zu 100 Jahre alt werden. Deutschlands ältester Wildapfelbaum steht zwischen Stubbendorf und Ehmkendorf in Mecklenburg-Vorpommern.

Foto: Antony

Nach Angaben des Kuratoriums zählt der in fast ganz Europa verbreitete Wildapfel heute zu den seltensten Bäumen Deutschlands. Wo er noch vorkommt, steht er meist unauffällig an Waldrändern und in Gehölzinseln außerhalb des Waldes. Seine Seltenheit liegt unter anderem darin begründet, dass der Wildapfel keine wirtschaftliche Bedeutung hat und daher auch nicht gepflegt oder gefördert wurde. Größere Vorkommen gibt es in Deutschland heute nur noch in den Hartholzauen des Ober­rheins und an der mittleren Elbe.

Die Gattung Malus ist mit etwa 25 echten Arten und zahlreichen Bastarden und Kultursorten in der nördlichen gemäßigten Zone verbreitet. Der Wildapfel ist die einzige in Mittel­europa heimische Malus-Art. Er soll nach der letzten Eiszeit (vor etwa 15 000 bis 20 000 Jahren) entstanden sein. Ãœber die Beteiligung dieser Wildart an der Kulturwerdung des Apfels gehen die Meinungen auseinander. Nach neuesten Erkenntnissen werden der Kaukasusapfel (M. orientalis) und der Altai-Apfel (M. sieversii) als Ahnen unserer Kultursorten vermutet. Diese Wildarten gelangten mit den Griechen vom Balkan her und mit den Römern nach Mittel- und Westeuropa. Durch zufällige Kreuzungen in der Natur, natürliche und gezielte Auslese entwickelten sich im Laufe der Geschichte bessere Formen. Für die Möglichkeit, dass auch der Holzapfel an der Entwicklung des Kulturapfels beteiligt war, spricht, dass aus Samen erwachsene, verwilderte Kultursorten mehr oder weniger stark auf den Holzapfel zurückschlagen. In vorgeschichtlicher Zeit wurde der Wildapfel wahrscheinlich als Nahrung genutzt – von der Tierwelt jedenfalls noch bis heute.

Nahrung für viele Tiere

Die kugelförmigen Früchte haben einen Durchmesser von bis zu 3,5 Zentimeter. Das Kerngehäuse nimmt mehr als die Hälfte davon ein.

Foto: Hillewaert

Die zwittrigen, fünfzähligen Blüten sind weiß oder rosa, nicht breiter als 3,5 Zentimeter und erscheinen im April/März. Auch der Wildapfel ist selbststeril. Als Pollenüberträger und effiziente Bestäuber haben sich neben Honigbienen und Hummeln vor allem Sand-, Furchen-, Pelz- und Mauerbienen einen Namen gemacht. Obstbäume und damit auch der Wildapfel zählen zu den Haupttrachtpflanzen mehrerer Hummelarten (Helle Erd-, Stein-, Wald-, Sand-, Acker-, Veränderliche Hummel und Gartenhummel).

Von den Blättern und Früchten ernähren sich die Raupen von 21 Groß- und 42 Kleinschmetterlingen, darunter: Apfelglasflügler, Baumweißling, Kupferglucke, Wiener Nachtpfauenauge, Silberspinner, Ringelspinner, Kreuzflügel, Gelbspanner, Großer und Kleiner Frostspanner. Eine Vielzahl von Schmetterlingen trinkt Nektar, mehrere Falter setzen sich auch gerne auf blutende, das heißt verletzte Stämme, um von den ausquellenden Säften zu trinken. Auch „mostendes“, also bereits faulendes Fallobst sagt etlichen Schmettlingen zu.

Zu Boden gefallene Äpfel stellen im Spätherbst und Winter eine willkommene Nahrungsquelle für Amseln, Mistel- und Wacholderdrosseln dar. Noch an den Zweigen hängende Äpfel werden mit Vorliebe vom Seidenschwanz verzehrt.

Heutige Nutzung: Baum für die Artenvielfalt

Über Jahrhunderte kultivierte man Apfelbäume in Haus- und Obstgärten sowie in Streuobstwiesen, die früher das jahreszeitliche Erscheinungsbild ganzer Landstriche bestimmten. Im Zeitalter der Supermärkte mit billigen, ganzjährigen Obstangeboten erscheint eine Eigenproduktion vielerorts nicht mehr rentabel. Dabei könnte sogar der Wildapfel wieder an Bedeutung gewinnen, wenn er als Bereicherung von Ökosystemen und Baum für die Artenvielfalt angesehen wird. Auch könnte er künftig im Bereich der Genressourcen eine größere Rolle spielen.

Die zwittrigen Blüten sind rosa bis weiß und öffnen sich im April und Mai.

Foto: Hillewaert

Der Siebenschläfer ist ein Gemischtköstler, der die Holzäpfel nicht verschmäht.

Foto: Harz

Ein Mindestmaß an Pflege ist jedoch unumgänglich: Zwar erscheint der Wildapfel für Krankheiten weniger anfällig zu sein als der Kulturapfel. Doch kann es Probleme durch verschiedene Wildtiere geben: Mäuse fressen an der ungeschützten Rinde und den Wurzeln. Feldhasen nagen die Rinde junger Bäume an. In gleicher Weise kann Rehwild durch Fegen und Verbiss große Schäden verursachen.

Helmut Hintermeier – LW 2/2013