Veredlung in Hessen braucht einen höheren Stellenwert
Pressegespräch des Kreisbauernverbandes Waldeck
Beim Pressegespräch des Kreisbauernverbandes Waldeck beim Fleischverarbeiter Wilke in Twistetal-Berndorf wies HBV-Präsident und KBV Waldeck Vorsitzender Karsten Schmal vor 18 Teilnehmern auf die prekäre Situation der Landwirtschaft hin, in der besonders die viehhaltenden Betriebe bei den derzeit desolaten Erzeugerpreisen eine schwierige Zeit durchlaufen.

Foto: Ernst-August Hildebrandt
Gesellschaft kritisiert die moderne Tierhaltung
Diese Befürchtung unterstrich auch Spezialberater Thomas Fögen von der HBV Landwirtschaftlichen Unternehmensberatungs-GmbH in einem Referat über die derzeitigen Probleme in der Schweinehaltung. Neben den geopolitischen Schwierigkeiten in der Vermarktung von Schweinen hätten sich für Schweinehalter eine Fülle von weiteren Hemmnissen und Beeinträchtigungen aufgebaut.
Als Beispiele führte Fögen die zunehmende Gesellschaftskritik gegenüber modernen Tierhaltungsformen, die expandierenden Auflagen und Dokumentationspflichten beispielsweise bei AnÂtibiotikadatenbank und QS, dem Verbot der Ferkelkastration ab 2019 mit all ihren Folgen, den Auswirkungen der BundesratsiniÂtiative zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und dem Tierhaltungserlass in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, der Verschärfung für die Güllewirtschaft durch die novellierte Düngeverordnung sowie die Novellierung des Baugesetzbuches an. Hinzu kämen steigende Aufwendungen in Bezug auf die Salmonellenproblematik sowie die Diskussion um das Schwänzekupieren. Besonders die kleineren Schweinehaltungen gäben auf und dabei sei auch Hessen betroffen. Aktuell würden hier nur noch 641 400 Schweine – 1970 waren es 1,5 Mio. – in nur noch 4 460 Betrieben (von insgesamt circa 17 000 Betrieben) gehalten. Seit 2010 gaben gut 1 250 Betriebe (minus 22 Prozent) die SchweiÂnehaltung auf.
Anders sehe die Situation in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen aus. Dort habe die Schweinefleischproduktion so stark zugenommen, sodass Deutschland seit 2006 zu einem Exportland geworden ist. Der russische Importstopp für europäisches Schweinefleisch wirke sich auch deshalb so negativ aus, weil 46 Prozent aller deutschen Speckexporte nach Russland gingen. Das russische Importembargo als Antwort auf die Wirtschaftssanktionen der EU drücke so die Erzeugerpreise. In der gesamten Wertschöpfungskette sei der Landwirt, speziell der Ferkelerzeuger das schwächste Glied.
Größenvorteile im Westen trotz höherer Kosten
Obwohl 1,60 Euro je kg SchlachtÂgewicht notwendig seien, um ein auskömmliches Einkommen in der Schweinemast zu erzielen, bekomme der Mäster derzeit 1,25 Euro/kg. Infolge seien auch die Ferkelpreise in den Keller gegangen. Obwohl der Sauenhalter pro 28 kg-Ferkel einen Erlös von 60 Euro erzielen müsste, bekommt er aktuell 41 Euro. „Unter diesen Bedingungen zahlen die Erzeuger drauf“, so Fögen.
Nur wenn alle Kosten optimiert seien und ausreichend große Partien (Ferkel beziehungsweise Mastschweine) angeÂdient werden können, würden annehmliche Preise am Markt erzielt. Ein Fakt, der eindeutig zu weiter wachsenden Beständen führen werde. Obwohl in den großen Schweinebeständen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens zusätzliche Kosten für Abluftfilter (circa 7 Euro/Mastschwein) und Gülleabfuhr bis zu 150 km (bis zu 11 Euro/Mastschwein) entstünden, seien diese Betriebe wegen ihrer Größe mit Vorteilen bei der Schlachtpartienandienung, Kostenvorteilen beim Futterbezug sowie loÂgistischen Vorteilen bei der Ferkelbeschaffung und der Nähe zum Schlachthof in einer besseren Position.
Allein durch eine größere Entfernung zum Schlachthof und geringer große Andienungsmengen können Kosten entstehen, die für kleinere Erzeuger Ferkelerzeugung und Schweinemast unwirtschaftlich machen. Alle Programme zur besseren Wertschätzung von Fleisch, hätten nur bedingt zu Erfolgen mit einem besseren Preisniveau geführt, da der Verbraucher in seiner Kaufentscheidung zunächst nach dem Preis sehe.
„Der Bürger wünscht, aber der Verbraucher zahlt nicht“
Nach Untersuchungen sei der Verbraucher aber selten preisbewusst. So spiele der Hinweis auf einen Sonderpreis, Superrabatt oder Schnäppchen eine größere Rolle bei der Kaufentscheidung als der Preis selbst. Fögen stellte fest: „Der Bürger wünscht, aber der Verbraucher zahlt nicht dafür.“ Der Erzeuger bleibe allein auf weiter Flur und habe die Marktschwäche allein zu tragen. Für Schlachthöfe und LebensmittelÂeinzelhandel seien die Gewinnmargen nach eigener Auskunft lange nicht so hoch gewesen wie zur augenblicklichen Zeit.
In der Diskussion, die von allen Sitzungsteilnehmern geführt und von KBV-Geschäftsführerin Stephanie Wetekam moderiert wurde ging HBV-Präsident Schmal auf die für den Markt zu kleinen hessischen Viehbestände mit ungünstiger Kostenstruktur ein. Unter den Global-Playern habe man keine Chance, ein gewichtiges Wort mitzureden. Problematisch sei, dass in Hessen strukturelle Veränderungen zu größeren und wirtschaftlicheren Einheiten politisch nicht gewollt seien. Erschwerend sei auch die nachlassende Infrastruktur durch schwindende Schlachthöfe und Vermarktungseinrichtungen, die durch weitere Wege zusätzliche Kosten verursache.
Der Markt braucht eine funktionierende Struktur
Der hessische Schweineerzeuger sei damit in einer Zwickmühle, die auch durch Aktivitäten in regionaler Erzeugung und Vermarktung sowie verbesserte TierÂwohlstandards bislang nicht im erwünschten Maße geholfen hätten, da der Verbraucher seine Kaufentscheidung überwiegend vom Preis bestimmen lasse. Allgemein sahen die Diskussionsteilnehmer den Konflikt zwischen der Notwendigkeit, Landwirtschaft zur Erhaltung der ländlichen Strukturen beizubehalten und ausreichender Produktivität, um am Markt zu bestehen. Gut funktionierende VerÂedlungsbetriebe der SchweiÂnehaltung benötigten derzeit im geschlossenen System rund 100 ha Ackerfläche, 100 produktive Sauen und 1 000 Mastplätze, um die rund 2 500 erzeugten Ferkel auszumästen.
Kostenführerschaft bedeute, dass zum Transport der Schlachttiere zur Schlachtstätte ein ViehÂtransporter gefüllt werden müsse. Die Betriebe, die in der Schweinemast erfolgreich seien, seien die größeren Betriebe, die aufgrund ihrer Tiergruppengrößen mit Schlachthöfen Verträge durch ihre Andienungsmengen abschließen können. Die Größe habe auch den Vorteil, dass Aufwendungen für Auflagen und Dokumentationspflichten auf mehr Tiere verteilt werden. Sollten die derzeit schwachen Erzeugerpreise noch eine Weile anhalten, könnte es das endgültige Aus für die kleineren Schweinebetriebe bedeuten, so die Meinung der Gesprächsrunde. Künftige Auflagen wie das Kastrationsverbot würden die Situation weiter verschärfen, da auch Ferkelerzeuger mit circa 250 Zuchtsauen keine einheitlich großen Partien für Mäster bereitstellen könnten und sich damit auf kostenträchtigere Vermarktungsstrukturen einlassen müssten. Eine Forderung zur regionalen und kleinstrukturierten Erzeugung vertrage sich nicht mit dem Wunsch, zu Weltmarktpreisen zu produzieren. Zudem sei der Regionalmarkt begrenzt. Erschwerend sei auch der kritische Dialog mit Verbrauchern, die hinter größeren Tierbeständen „Massentierhaltung“ und Tierquälerei vermuten.
Verbraucher müssen aufgeklärt werden
Fögen erläuterte, dass Aufklärung wichtig sei anhand eines Beispiels bei einer Pfarrerfortbildung im Werra-Meißner-Kreis. Die Geistlichen hatten zuvor eine sehr kritische Einstellung über die moderne Nutztierhaltung und wurden zur Information in einen modernen Betrieb geführt, wobei sie Vorort die moderne Haltungsform erfahren konnten. Beispielsweise wurden Abferkelbereiche mit Kastenständen gezeigt und verdeutlicht, dass so die Saugferkelverluste verringert werden. Oder Spaltenböden für die Hygiene und das Wohlbefinden der Tiere Vorteile haben können. Für und Wider der Haltungsformen konnten vermittelt und diskutiert werden. Die Gäste mit Multiplikationspotenzial wurden in ihren Bedenken korrigiert.
Schmal zog das Fazit, dass man sich vielleicht selbst vorwerfen müsse, den Verbraucher nicht genügend mitzunehmen und man sich aufklärend besonders um Meinungsbildner bemühen müsse. Wetekam bekräftigte, dass eine Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit von immenser Bedeutung sei und dabei der Berufsverband Hilfestellung leisten könne. An die anwesenden Praktiker gerichtet forderte sie auf, die Angebote nachzufragen und aktiv am Erzeuger-Verbraucher-Dialog teilzunehmen.
Dr. Hildebrandt – LW 52/2015