Das ewige Drama mit den Hausaufgaben
Wenn Kinder sich nicht konzentrieren können – Tipps für Eltern
Marvin sitzt schon eine ganze Weile an seinen Mathehausaufgaben. Der Viertklässler muss heute eine ganze Seite Aufgaben in seinem Buch rechnen. Nach drei Päckchen kriegt er einfach nichts mehr hin. Er malt mit der Spitze seines Bleistifts immer wieder auf derselben Stelle Kringel ins Heft, bis ein Loch im Papier ist. Seine Mutter verliert die Nerven und brüllt ihn an. Wie MarÂvin geht es vielen Kindern: Viele Grundschüler tun sich mit der zügigen ErÂledigung ihrer Arbeiten schwer, weil sie sich schlecht konzentrieren können. Wir haben einige Tipps zusammengetragen, die das Konzentrieren leichter machen.

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Verschiedene Ursachen für Unkonzentriertheit
Wenn Kinder sich bei manchen Dingen sehr gut, bei anderen gar nicht konzentrieren können, kann das verschiedene Ursachen haben: Äußere LebensÂumstände wie UmzüÂge, Trennung oder Tod eines FaÂmiÂlienÂangehörigen können ebenÂso dazu beitragen wie Belastungen, zum Beispiel schlechte Ernährung oder zu wenig Schlaf, Umweltfaktoren wie Elektrosmog oder Giftstoffe. Aber auch zu viel Fernsehen, Alltagshektik, die wenig Zeit zum Träumen und Spielen lässt, Überforderung, Unterforderung und Angst können ebenso dazu beitragen, dass Kinder sich an Aufgaben gar nicht erst heranwagen. Und noch ein anderer wichtiger Punkt kommt hinzu: Die Reize zur Weckung der Aufmerksamkeit fehlen, die Aufgabe wird einfach als langweilig empfunden. Viele Eltern blicken bei dieser Vielzahl möglicher Ursachen nicht mehr durch. Dennoch können auch sie eine Menge dazu beitragen, ihrem Kind zu helfen.
Tipp 1: Belohnen Sie zügiÂges Arbeiten!
Die durchschnittliche AufmerkÂsamkeitsspanne bei Pflichtaktivitäten wie langweiligen Hausaufgaben liegt im Alter von fünf bis sieben Jahren bei 15 Minuten, bei Acht- und Neunjährigen bei 20 Minuten und bei Zehn- bis Zwölfjährigen bei 25 Minuten. Wie lang ein Kind sich konzenÂtrieren kann, ist aber auch von der Motivation abhängig. Felix kann stundenlang Computer spielen, sobald er Textaufgaben in Mathe rechnen soll, wird er nach zwei Minuten müde, reibt sich die Augen und gähnt. Linda kann mit ihren Barbies im Rollenspiel versinken, sobald sie aber einen Aufsatz schreiben soll, rutscht sie unruhig hin und her. Empfindet das Kind die Aufgabe als zu eintönig und langweilig – wie zum Beispiel einen Text abschreiben oder 50 Päckchenaufgaben rechnen – könnten Eltern eine kleine Belohnung aussetzen: Nach jedem geschafften Absatz gibt es ein Gummibärchen, nach jedem Mathepäckchen einen Smiley – zehn Smileys können am Abend gegen zehn Minuten Fernsehzeit oder eine Vorlesegeschichte eines Elternteils eingetauscht werden.
Tipp 2: Planen Sie genügend Pausen ein!
In den ersten beiden Klassen sollten die Kinder ihre Hausaufgaben in höchstens einer halbe Stunde Arbeitszeit schaffen, später darf den Kindern schon ein bisschen mehr zugemutet werden. Diese Zeitspanne wird aber gerade am Anfang der Schulzeit oft überschritten, obwohl die Kinder eigentlich gar nicht so viel auf haben. Das liegt daran, dass sich die Kleinen noch daran gewöhnen müssen, sich am Arbeitsplatz zu konzentrieren und sich nicht von den Geschwistern oder umher liegendem Spielzeug ablenken zu lassen. "Ab dem dritten oder vierten Schuljahr können die Hausaufgaben – auch wenn sie zügig erledigt werden – auch mal länger dauern. Dann sind aber regelmäßige Pausen wichtig. Alle zwanzig Minuten sollte eine kurze Pause eingelegt werden, in der das Kind aufstehen darf, und vielleicht auch etwas essen oder trinken", rät Grundschullehrerin Stefanie Spurtasz. Nach einer gewissen Phase der Anspannung ist der Akku erst einmal leer und muss neu geladen werden.
Tipp 3: In der Pause bewegen, Frischluft tanken und viel trinken!
Im Zustand der UnkonzenÂtriertheit ist meist der Blutdruck abgesackt. Bewegung, frische Luft und Wasser bringen ihn wieder auf Trab. Lassen Sie Ihr Kind – wenn Sie die Möglichkeit haben – einmal ums Haus laufen oder auf dem Trampolin hüpfen. Manche Kinder können besser ihre Aufgaben bewältigen, wenn sie nicht still auf dem Stuhl sitzen, sondern schon hier die Bewegung haben: Sitzen auf einem Sitzball, Schreiben am Stehpult, Wiederholen von Vokabeln oder Auswendiglernen beim Gehen können manchmal Wunder wirken, um die grauen Zellen auf Trab zu bringen. Auch das Abfragen von Vokabeln oder dem Einmaleins mit dem Softball im Frage-Antwort-Rhythmus können hilfreich sein, um kleine Träumer bei der Sache zu halten. Wenn Ihr Kind während der Hausaufgaben träumt, öffnen Sie das Fenster, lassen Sie Ihr Kind trinken. Nervenzellen funktionieren am besten, wenn der "Wasserpegel" stimmt. Wenn der Akku allerdings zwei- bis dreimal während einer Arbeitsphase nachgeladen wurde, ist allerdings eine "Maxi"-Pause von mehreren Stunden erforderlich, denn die Konzentrationsfähigkeit lässt sich nicht unbegrenzt ausdehnen.
Tipp 4: Lassen Sie Ihr Kind mitentscheiden, wann es arbeiten möchte!
Wann soll Ihr Kind denn Hausaufgaben machen? Manche Kinder können sich nach dem Essen überhaupt nicht konzenÂtrieren, manche brauchen den Zeitdruck, wenn um 15 Uhr die Freundin vor der Tür steht, um richtig Gas zu geben. Finden und probieren Sie mit Ihrem Kind gemeinsam heÂraus, wann es sein Leistungshoch hat. Viele Kinder kommen nach Hause und haben fünf bis sechs Schulstunden hinter sich, nun brauchen sie erst einmal Entspannung. Lassen Sie sich ein oder zwei Wochen auf das Experiment ein, dass Ihr Kind den Zeitpunkt für Hausaufgaben selbst bestimmen kann! Je nach Typ wird es die Sache nach hinten verschieben oder es will alles möglichst schnell erledigen. "Auch wenn Ihr Kind erst nach dem Abendessen bereit ist, sich an den Schreibtisch zu setÂzen: Gehen Sie darauf ein. Schnell wird es feststellen, dass das eigentlich nicht die beste Zeit für Hausaufgaben ist, weil in den Familien um diese Uhrzeit viel los ist – oder "Carly, Galileo & Co. im Fernseher locken", so Lehrerin Spurtasz. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn, warum dieser Zeitpunkt ungünstig ist und wann eine bessere Zeit fürs konzentrierte Arbeiten sein könnte.

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Ist der richtige Zeitpunkt für Hausaufgaben gefunden, sollte der auch jeden Tag eingehalten werden. Förderlich für die Konzentration ist es immer, wenn Hektik im Alltag vermieden wird und es Regelmäßigkeit und Rituale im Tagesablauf gibt. Wichtig für eine erfolgversprechende Bewältigung der Hausaufgaben ist aber auch ein fester Arbeitsplatz. Das kann der Küchentisch sein – noch besser aber ist der eigene Schreibtisch. Ein organisierter und ruhiger Arbeitsplatz bringt durch die Gewöhnung zusätzliche Motivation. Außerdem findet das Kind dort alles an Hilfsmitteln, was es braucht wie zum Beispiel Stifte, Schere, Kleber oder Lineal.
Tipp 6: Führen Sie Ihr Kind ans selbstständige Arbeiten heran!
Bei der gemeinsam vereinbarten Zeit sollte es auch bleiben. Erinnern Sie Ihr Kind rechtzeitig ans Anfangen, damit das Spiel nicht abrupt unterbrochen werden muss. Toll, wenn das Kind seine Aufgaben selbstständig ausführt – aber oft müssen Kinder das erst noch lernen. Empfehlenswert ist folgende Regelung: Das Kind erzählt zu Beginn, was es heute alles zu erledigen hat, dann kann es losgehen. Signalisieren Sie ihm, dass es möglichst selbst überlegen und handeln soll. Bieten Sie ihm nur dann Hilfe, wenn es wirklich nicht mehr weiter kommt. Zum Beispiel kann man sich Aufgabenstellung und Denkschritte vom Kind erklären lassen und dann vorsichtig Entwürfe machen, die den Grundschüler wieder selbst auf die Spur bringen. Wenn Sie ungefragt Vorschläge machen und Lösungen präsentieren, erreichen Sie vor allem eins: Ihr Kind bleibt unselbstständig. Nach der kleinen Hilfestellung sollte das Kind alleine weiter arbeiten. Wer immer während der Hausaufgaben neben seinem Kind sitzt, wird das aus gemeinsamer Gewohnheit noch auf der weiterführenden Schule tun. Vielleicht hilft ja auch nach den Hausaufgaben eine kleine Belohnung, wenn das Kind es geschafft hat, selbstständig zu arbeiten.
Tipp 7: Machen Sie doch mal eine Fantasiereise!
Kleine Geschichten auf Cassette und CD sind hervorragend geeignet für den Stressabbau nach der Schule und für die Förderung der Konzentration. Vielen Kindern hilft es daher, in der Mittagszeit erst einmal eine Geschichte zu hören, bevor es sich an den Schreibtisch setzt. Im Fachhandel gibt es einige Geschichten, die Übungen aus dem Autogenen Training, Konzentrations- und Entspannungsübungen in die Erzählungen integrieren. Manchen Kindern helfen auch einfache Konzentrationsübungen vor den Hausaufgaben wie: "Nimm ein großes Papier und zeichne darauf eine Minute lang liegende Achten" oder "Schließe die Augen und stell dir vor, dass jemand eine Orange auf deinen Kopf gesetzt hat, die eine Minute lang nicht herunterfallen darf". Solche Übungen vor der Lernarbeit können helfen, sich und sein Gehirn einzustimmen und führen bei regelmäßiger Anwendung auch dazu, dass sich das Gehirn schneller und beinahe automatisch auf eine folgende konzentrierte Arbeit einstellt. Sabine Hense-Ferch
ADS – Erkennungsmerkmale und Behandlung
Wenn Kinder über lange Zeiträume Probleme haben, sich zu konzentrieren, könnte auch ADS die Ursache sein. Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung kann, muss aber nicht zwangsläufig mit Hyperaktivität einhergehen. Manche ADS-Kinder sind nicht hyperaktiv, sondern im Gegenteil verträumt und langsam. Wissenschaftler schätzen, dass etwa drei bis zehn Prozent aller Kinder betroffen sind; Jungen häufiger als Mädchen.
Die Symptome können mit unterschiedlicher Ausprägung bis in das Erwachsenenalter hinein fortbestehen. Die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ist nach derzeitigem Stand ein durch verschiedene Faktoren bedingtes Störungsbild mit einer erblichen Disposition, die die Ausbildung begünstigt. Auf neurobiologischer Ebene wird es unter anderem als Anormalität der neuronalen Signalverarbeitung im Gehirn erklärt. Für den Verlauf und die individuelle Ausprägung spielen daneben psychosoziale Faktoren und Umweltbedingungen eine wichtige Rolle. Wenn Eltern den Verdacht haben, dass ein ADS vorliegen könnte, sollten sie einen Kinderarzt, Kinderpsychotherapeuten oder Kinderpsychologen aufsuchen, der die exakte Diagnose stellen kann. Häufig ist dann eine medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat (Ritalin) erforderlich.
Anregungen zur Konzentrationsförderung
- Bewusstes Hören üben: Vorlesegeschichten, Hörbücher, Kassetten mit Hörspielen – alles Übungen zur Schulung von Hin- und Zuhören. Am besten nur lauschen, ohne dass gleichzeitig noch eine andere Beschäftigung ausgeübt wird.
- Bewusst Hinschauen lernen: Ich sehe was, was du nicht siehst; Suchen von Gegenständen in Wimmelbüchern; Wer hat zuerst zehnmal eine "2" auf den Nummernschildern von Autos auf der Autobahn gezählt? – alles Übungen, die die Konzentration durch bewusstes Hinschauen fördern.
- Bewusst riechen und schmecken: Statt in den Topf zu schauen, einfach mal mit zugehaltenen Augen in den Topf hineinriechen: Was gibt es heute wohl zu essen? Oder Riechtest spielen: In leere Joghurtbecher verschiedene Substanzen hineinlegen: Sternanis, Schuhcreme, Zahnpasta, Gras – und dann raten.
- Übungen für alle Sinne: Mit verbundenen Augen versuchen, Gegenstände tastend zu erraten; Barfußlaufen; Streicheln; Kitzeln und Massage – alles Übungen, um Haut und Sinne ganzheitlich anzuregen.
- Gedächtnisspiele: Spiele nach dem Muster von Kofferpacken ("Ich packe einen Koffer und stecke ein Handtuch hinein", "Ich packe einen Koffer und stecke ein Handtuch und eine Zahnbürste ein" usw.) fördern die Konzentration und machen Spaß. Hier können Kinder im Wettstreit mit ihren Eltern punkten.
- Funktionsübungen: Aufgaben wie "Finde die zehn Unterschiede in zwei gleich aussehenden Zeichnungen"; "Suche den Weg durchs Labyrinth"; Puzzeln und Memoryspielen sind ebenfalls tolle Konzentrationstrainings.
Spielen – wichtig für den Stressabbau
Wenn die Hausaufgaben endlich erledigt sind, ist endlich Zeit fürs Spielen. Eltern sollten darauf achten, dass nicht zu viel Programm am Nachmittag besteht, damit die Kinder noch genug Zeit für die Erholung haben.
- Planen Sie nicht zu viele zusätzliche Aktivitäten pro Woche ein. Davon ausgenommen sind natürlich Verabredungen unter Freunden zum gemeinsamen Spiel am Nachmittag. Eine Sportart und ein Musikinstrument sind völlig ausreichend.
- Lassen Sie Ihr Kind spielen! Das ist wichtig, um angestaute Wut, Aggressionen, Enttäuschung und Druck abzubauen. Das freie Spiel hat reinigende Wirkung auf das Gefühlsleben des Kindes.
- Vermeiden Sie, dass Ihr Kind gleich nach den Hausaufgaben fernsieht oder am Computer spielt. Schließlich hat es ja gerade eine anstrengende "Sitzung" hinter sich. Frische Luft und Gelegenheit zum Austoben sind jetzt viel wichtiger!
- Was für ein Typ ist Ihr Kind? Manche Kinder brauchen Zeit, zunächst ganz für sich im Kinderzimmer herumzuwerkeln, um sich so langsam von der angespannten Konzentrationsphase zu erholen.
Sabine Hense-Ferch