Erfahrung und Stehvermögen

Die Corona-bedingte Abschmelzung des Bauerntages auf ein Rumpfprogramm lies diesmal viel Raum für den Austausch zwischen dem Vorstand des Deutschen Bauernverbandes und den Delegierten. Etwa ein Jahr nach den großen Bauerndemon­strationen in den deutschen Städten bestand Bedarf darüber zu sprechen, warum der Bauernverband nicht an der Spitze der Bewegung stand und ob der Stil der Verbandsarbeit junge Menschen hinreichend zum Mitmachen animiert. Auch Verbandspräsident Rukwied persönlich stand in der Kritik. „Sie müssen die Seelen der Mitglieder erreichen“, sagte ein Delegierter. Rukwied hatte zuvor schon in seiner Grundsatzrede, mit der er die ernste Lage der Landwirtschaft beschrieb aber auch um seine Wiederwahl warb, Versäumnisse des Verbands in der Ansprache gerade junger Leute eingeräumt. Er verdeutlichte, dass auch er zuweilen emotionaler agieren würde. Gleichzeitig verteidigte er seinen rationalen Stil. Wichtig sei es, politische Mehrheiten zu finden und Politiker für die Sache zu gewinnen, da müssten Emotionen zurückstehen.

Das Ergebnis seiner Wiederwahl von 81,6 Prozent zeigt, dass er die Delegierten mit seinen Ausführungen überzeugte, in der er auch Erfolge wie die Stabilisierung des EU-Finanzrahmens und die erfolgreiche Mitwirkung bei der Neugestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik aufweisen konnte. Dass Rukwied bei beiden vorangegangenen Wahlen eine höhere Zustimmung erlangte, hängt auch damit zusammen, dass der Druck auf die Landwirtschaft in der Zwischenzeit, beispielsweise durch das geplante Aktionsprogramm Insektenschutz, die Düngeverordnung oder die Tierhaltungsdiskussion immer größer wurde und der Frust der Bauern gewachsen ist.

Thema war in Erfurt auch die stärkere Präsenz von Frauen und jungen Leuten in den Gremien. Die Debatte darüber, wie dies organisiert werden kann, steht noch am Anfang. Gleichwohl: Erfahrung und Stehvermögen haben die DBV-Vor­stands­mitglieder, alle Mitte fünfzig bis Anfang sechzig, unter anderem auf Kreis- und Landesebene und in anderen Gremien erworben. Ob sich diese Kenntnisse und Eigenschaften stark zeitverkürzt aneignen lassen, ist fraglich.

Cornelius Mohr – LW 43/2020