Handel nimmt das Heft in die Hand

Beim Setzen von Lebensmittelstandards hat der Handel wiederum das Heft in die Hand genommen. Während das Konzept der Borchert-Kommission zum Umbau der Tierhaltung in der Politik wohlwollend aufgenommen wurde, aber die Regierungskoalition keine konkreten Schritte mehr vereinbart hat, preschen Aldi, Rewe und jetzt auch Lidl und Kaufland mit ihrer Ankündigung vor, aus der Vermarktung von Fleisch aus der Haltungsstufe 1 beziehungsweise 2 (mittelfristig) auszusteigen. Sie lösen eine Welle aus, die den größten Teil des Lebensmittelhandels erfassen könnte. Dabei werden in den beiden übrigen Haltungsstufen 3 und 4 mit Zugang zu Außenklima beziehungsweise zu Freigelände bislang nicht annähernd so viele Tiere aufgezogen, dass es für das jetzt vom Handel geplante Fleischangebot reichen würde. Um dies zu schaffen, sind erhebliche Umbaumaßnahmen und Stallneubauten nötig, die aber mitunter an der Baugesetzgebung und am Emissionsschutzrecht scheitern. Auch hier hat die Koalition insbesondere durch die Blockade der SPD den Weg nicht freigemacht. Das Vorhaben des Handels könnte in dieser Hinsicht zusätzlichen Druck auf den Gesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode ausüben.

Dass der Berufsstand weniger Kritik als vielmehr Bedenken wegen des fehlenden Angebots von Fleisch aus den betreffenden Haltungsformen geäußert hat, liegt daran, dass er sich selbst zum Wandel in der Tierhaltung bekennt. Zweifel bestehen aber grundsätzlich immer an einem nachhaltigen Ausgleich für den höheren Aufwand. Der LEH lässt es mit dem Versprechen bewenden, dass die Umstellung keinesfalls auf dem Rücken der Landwirte erfolgen werde. Man werde den höheren Aufwand honorieren, so ein Aldi-Nord-Sprecher. Die Gefahr ist aber groß, dass höhere Haltungsstufen irgendwann zum Standard werden. Das hohe Risiko, dass Aldi nach eigenen Angaben mit dem Verzicht auf die ersten beiden Handelsstufen eingeht, ist deshalb nichts gegen das Risiko der Landwirte. Die Erzeuger müssen investieren oder die Tierzahl abstocken und sind auf dauerhaft höhere Preise angewiesen. Wenn Aldi auch künftig die Preisführerschaft anstrebt, schwant nichts Gutes.

Cornelius Mohr – LW 27/2021