Mit dem 22er steht eine Turbolese bevor

Trotz andauernder Trockenheit und Hitze, die den Junganla­gen zu schaffen machen und die Reben auf leichten Böden zum Verdorren bringen, sind die meisten Weinberge in einem erstaunlich guten Zustand. Die Winzer können eine qualitativ hervorragende Ernte erwarten. Leider entwickelt sich die Reife allzu rasant, die Mostgewichte gehen in die Höhe und die Säurewerte reduzieren sich schneller als gewünscht, sodass sie oft über den Lesezeitpunkt entscheiden werden.

Voraussichtlich werden viele Rebsorten gleichzeitig reif. Es steht eine Turbo­lese bevor, in der die komplette Ernte in kurzer Zeit eingebracht werden muss, um allzu alkohollastige Weine zu vermeiden und ein harmonisches Süße-Säure-Spiel zu erreichen. Das macht schon genug Stress. Hinzu kommt, dass die Arbeits­tage extrem früh beginnen. Zum Teil wird die Ernte schon in der Nacht begonnen, um die Trauben möglichst kühl ins Kelterhaus zu bringen. Denn die Energie zum Kühlen der Maische ist teuer.

Der ersehnte Regen in der letzten Augustwoche fiel, wenn überhaupt, lokal sehr unterschiedlich, hat aber hie und da zu einer leichten Entspannung in den Weinbergen geführt. Über die Erntemenge lässt sich nur spekulieren.

Der Preisindex für die Einkaufspreise landwirtschaftlicher Betriebsmittel lag im April 2022 um knapp 30 Prozent über dem Vorjahresniveau. Dass die Herbstpreise für Wein 30 Prozent über dem Vorjahr liegen werden, ist dagegen zu bezweifeln. Fassweinvermarkter sind bei der Preisfindung ausgeliefert und können nur versuchen, ihre Kosten im Betrieb im Rahmen zu halten. Gleichwohl wird es auf dem Fassweinmarkt voraussichtlich entspannt bleiben, denn die Kellereien brauchen den neuen Jahrgang, es gibt keine belastenden Altbestände. Obwohl die Endverbraucher bereit sind, etwas höhere Preise zu akzeptieren, wird es kaum gelingen, die erhöhten Kosten komplett weiterzugeben. Die Verbraucher können sich allerdings auf hochwertige Weine zum fairen Preis aus der Region freuen. Beibt die Hoffnung, dass sie zu heimischen Weinen greifen.

Bettina Siée – LW 35/2022