Ein Jahr im Amt
Nächste Woche, am 8. Dezember, ist Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ein Jahr lang im Amt. Bei der Amtseinführung bezeichnete er sich als oberster Anwalt der Landwirte. Özdemir ging ohne Vorbehalte auf den Bauernverband zu. Das und der Erhalt eines eigenen Landwirtschaftsministeriums hatte nach der Regierungsbildung für Erleichterung im Berufsstand gesorgt.
Özdemir ist konziliant und man nimmt ihm ab, dass er die Landwirte schätzt. Doch nach anfänglicher Erleichterung ist längst Skepsis angesagt. Dabei wäre es müßig, die Arbeit des grünen Ministers nach den Wertmaßstäben des Berufsstandes zu beurteilen. Es ist ja nicht seine Wählerklientel. Doch er hat sich selbst die Transformation der Agrarwirtschaft und den Umbau der Tierhaltung auf die Fahnen geschrieben und dabei die Vorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) als auch die des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (Borchert-Kommission) als gangbaren Weg bewertet. Beide Vorhaben dümpeln vor sich hin. Statt einer Transformation, die die ZKL als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht, kommt ein Verordnungsentwurf aus Brüssel, der mit der Pflanzenschutzmittelreduktion auf pauschale und drastische Vorgaben setzt. Und Özdemir unterstützt sie auch noch in großen Teilen, anstatt wie viele, auch grüne Umweltminister auf die schon vereinbarten kooperativen Vereinbarungen zum Artenschutz in den Bundesländern hinzuweisen.
Der Umbau der Tierhaltung kann unterdessen nicht in Fahrt kommen, weil die Ampel insgesamt nicht bereit ist, ihn ausreichend zu finanzieren. Die eine Mrd. Euro, die Özdemir in seiner Haushaltsrede im Bundestag für Investitionen und laufende Kosten in der Schweinehaltung angekündigt hat, sind zu wenig. Dass das SPD-geführte Bundesbauministerium einen völlig kontraproduktiven Vorschlag gemacht hat, um die notwendigen Stallumbauten für mehr Tierwohl zu regeln, hätte eine deutliche Kritik Özdemirs zur Folge haben müssen. Dass er gleich zu Beginn einen Schulterschluss mit Bundesumweltministerin Lemke angekündigt hat und ihr einen Teil der Agrarpolitik überlässt, spricht auch nicht für eine starke Stellung im Kabinett.
Cornelius Mohr – LW 48/2022