Auf der Suche nach Mehrheiten

Die Landwirtschaft hat zuletzt mehr Verständnis für ihre Belange auf der europäischen Ebene erfahren als auf der nationalen. Mit der Vorlage neuer Gesetze oder Initiativen (Düngegesetz, Tierschutzgesetz, Zukunftsprogramm Pflanzenschutz) durch die Ampel-Regierung hat sich diese Kluft noch verstärkt. Der Berufsstand schaut deshalb gespannt und erwartungsvoll da­rauf, wie sich die Abgeordneten des neuen Europaparlamentes sortieren, wer die wichtigen Vorsitze der Parlamentsausschüsse einnimmt und wie die neue Kommission besetzt wird. Bei der Europawahl wurden die Konservativen, die in Deutschland in Form der Union von den meisten Landwirten gewählt wurde, aber auch die Rechtspopulisten deutlich gestärkt. Wie sich die Gewichtsverlagerung im Europaparlament politisch auswirkt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Mit einem „Cordon sanitaire“, einem Sperrgürtel, wollen sich die etablierten Parteien der demokratischen Mitte gegenüber den jetzt zwei rechtsnationalen Fraktionen Patrioten für Europa (PfE) und Europa Souveräner Nationen (ESN), in der die AfD-Abgeordneten untergekommen sind, abgrenzen. Mit ihnen soll es keine politischen Verhandlungen geben, und sie sollen keine hochrangigen Parlamentsposten bekleiden oder Vorsitzende für Ausschüsse bekommen. Das bedeutet, dass sich die Mehrheiten in einer Koalition aus EVP, Sozialdemokraten und der liberalen Renew-Fraktion finden müssen und gegebenenfalls Stimmen von den Grünen oder der nationalkonservativen EKR-Fraktion gewonnen werden müssen.

Der Vorsitz des Landwirtschaftsausschusses wird voraussichtlich wieder von einem EVP-Abgeordneten besetzt. Wichtig für die Branche sind aber auch der Umweltausschuss und vor allem der Haushaltsausschuss mit Blick auf den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen. In welcher Form der Green Deal weiterverfolgt wird, hängt maßgeblich von der neuen Kommission ab. Die voraussichtlich auch neue Kommissionpräsidentin von der Leyen, die ihn vorangetrieben hat und die an diesem Donnerstag wahrscheinlich gewählt werden wird, könnte den Grünen für ihre Stimmen mehr Zugeständnisse machen, als der Landwirtschaft lieb sein kann.

Cornelius Mohr – LW 29/2024