Die Ungeduld wächst

Die Ungeduld der Agrarbranche mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wächst. Sie vermisst geeignete Vorgaben, um den Herausforderungen wie der weltweiten Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und dem Umbau der Tierhaltung in Deutschland zu begegnen. Mehr als hundertvierzig Tage hat man dem Minister in seinem neuen Amt Schonfrist gewährt, weil er zugänglich ist und sich „als oberster Anwalt der Landwirte“ bezeichnet hat, aber auch, weil der Überfall Russlands auf die Ukraine die Lage stark verändert hat. DRV-Präsident Holzenkamp hat jetzt einen Termin vorgegeben: Spätestens bis zur parlamentarischen Sommerpause müsse Özdemir liefern. Denn die Zeit drängt. Die Tierhalter müssen wissen, wie die gewünschten höheren Standards beim Tierwohl sicher und langfristig finanziert werden. Wegen der kräftigen Verteuerungen von Nahrungsmitteln und den meisten anderen Gütern des täglichen Bedarfs keimen aber Zweifel auf, wie stark das Bekenntnis von Verbrauchern und Politikern ist, für den Umbau zu bezahlen. Dass die Borchert-Kommission angesichts der Hängepartie jetzt eine ehrliche Kommunikation zur Finanzierung fordert, macht diese Zweifel deutlich. Unterdessen erscheinen die Möglichkeiten der praktischen Umsetzung immer eingeschränkter, nachdem die FDP einer Mehrwertsteuererhöhung auf tierische Produkte, die die Borchert-Kommission für die passendste Lösung hält, ablehnt.

In Fragen der Versorgungssicherheit werden ebenfalls richtungsweisende Entscheidungen notwendig. Die weltweite Verknappung von Agrargütern war schon vor dem Krieg in der Ukraine ein absehbares Problem. Denn immer mehr Menschen müssen von immer weniger Fläche ernährt werden, 2013 waren es noch 2000 Quadratmeter, 2050 werden es nur noch 1500 Quadratmeter sein. Dass die Bauern in Europa mit der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 vier Prozent der Ackerflächen brachliegen lassen sollen, passt nicht mehr in diese Welt. Özdemir aber will nicht daran rütteln. Seine Parteikollegen Baerbock und Habeck haben sich unter dem Druck der Realitäten einer pragmatischen Politik zugewandt und damit ihre Anerkennung vergrößert. Özdemir sollte es ihnen gleichtun.

Cornelius Mohr – LW 17/2022