Die Zügel werden fester angezogen
Seit über einem halben Jahr leben wir mit der Corona-Pandemie. Viele haben sich mit dem Corona-Alltag arrangiert, wägen ab, was für sie selbst und für ihr Umfeld gut ist, und setzen Hygieneregeln um. Auf dem Land gelingt das eher besser als in der Stadt, denn hier kennt man sich, achtet mehr aufeinander, ist telefonisch oder über soziale Netzwerke gut in Kontakt und pflegt Nachbarschaftshilfe.
Es gibt aber auch Menschen, bei denen die Pandemie Unsicherheit, Stress, Ängste und Sorgen auslöst. Insbesondere Ältere und Alleinlebende sind von Vereinsamung betroffen. Sich nicht umarmen zu dürfen, Besuchsverbote in Pflegeheimen und Krankenhäusern auszuhalten, als Single keine Dates haben zu können, um jemanden kennenzulernen, aber auch Homeschooling, fehlende Kinderbetreuung sowie wirtschaftliche Existenzängste zehren an der körperlichen und seelischen Substanz. Hinzu kommt, dass uns mit der beginnenden kalten Jahreszeit und den derzeit steigenden Corona-Fällen noch eine lange Durststrecke in der Pandemie bevorsteht.
Erschwerend bei der Eindämmung des Virus ist, dass es auch diejenigen gibt, die Covid-19 ignorieren, feiern gehen, dabei keine Abstände zueinander halten und Kontaktzettel in Gastronomien falsch ausfüllen. Diese Menschen bei einem Infektionsfall zu erreichen, ist nicht möglich – das Virus hat hier freie Bahn. Auch wenn Psychologen erklären, dass manche Menschen ohne den Abwehrmechanismus der Verdrängung nicht überleben würden, sollte jeder mittlerweile wissen: Covid-19 ist kein einfacher Schnupfen. Der eine oder andere fühlt sich vielleicht unverwundbar und meint, eine Infektion verkraften zu können, aber eine Ansteckung kann sowohl Spätfolgen mit sich bringen, als auch an andere weitergeben werden.
Die aktuell steigenden Corona-Fallzahlen, die laut Robert-Koch-Institut besonders nach Feiern im Familien- und Freundeskreis festgestellt werden, und die zu erwartende Grippewelle haben diese Woche die Bundesregierung veranlasst, die Zügel mit verstärkten Regeln anzuziehen: Es wird zur Einhaltung der Hygieneregeln, zur Nutzung der Corona-Warn-App sowie zu Vernunft und Vorsicht aufgerufen. Eine zweite Welle kann niemand wollen.
Dr. Stephanie Lehmkühler – LW 40/2020