Aufeinander achtgeben

Wer in der Landwirtschaft arbeitet, ist in der Regel mit Leib und Seele dabei. Doch der Druck auf die Landwirte steigt und erschwert ihre Arbeit: kostentreibende Auflagen, Klimawandel, Trockenheit, mangelnde Wertschätzung für die Lebensmittelproduktion, Pandemie, Krieg, steigende Energiekosten – man hat das Gefühl, es wird immer mehr. Kommen dann auch noch private Probleme, Krankheit oder ein Pflegefall in der Familie hinzu, kann das die letzten Energiereserven rauben. All das geht nicht spur­los an Leib und Seele vorbei.

Insbesondere die seelischen Folgen sind alarmierend, wie eine aktuelle Studie, an der bundesweit rund 4 000 Landwirte teilgenommen haben, herausgefunden hat: In Deutschland sind 4,5-mal so viele Landwirte von Burnout betroffen wie Angehörige der Allgemeinbevölkerung. Mehr als doppelt so viele Landwirte fühlen sich von Ängsten geplagt, und über Depression klagen dreimal mehr Landwirte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Nicht die Arbeit macht Bauern krank, sondern die komplexe Bürokratie, die Darstellung der Landwirtschaft in den Medien, die Beschlüsse in der Agrarpolitik und das Ansehen des Berufes in der Gesellschaft, so ein weiteres Studienergebnis.

Um sich von den Sorgen abzulenken, können schon kleine Auszeiten helfen, den seelischen Tank wieder etwas aufzufüllen. Das kann zum Beispiel ein regelmäßiger Spaziergang sein, Treffen mit Freunden oder Radtouren mit der Familie. Familie und Freunde sind zudem gefragt, aufeinander achtzugeben: Wer depressive Verstimmungen in seiner Familie oder bei Freunden bemerkt, sollte dies ansprechen. Mit jemandem über seine negativen Gedanken zu reden, kann der erste Schritt zurück zum Wohlbefinden sein. Dazu zählt auch das Gespräch mit dem Hausarzt. Oder man wendet sich an eine Beratungsstelle, um mit professioneller Unterstützung aus einer ver­meintlich ausweglosen Situation herauszukommen.

Die Nachfrage nach Hilfe steigt. Darauf haben sich die zuständige Krankenkasse und seelsorgerische Einrichtungen eingestellt: Es gibt mehr Gesundheits- und Unterstützungsangebote speziell für Landwirte. Und gut zu wissen: Hilfe einzufordern und anzunehmen, beweist Stärke. Depressionen und Burnout sind ernstzunehmende Krankheiten, aber heilbar.

Dr. Stephanie Lehmkühler – LW 33/2022