Brüsseler Gedankenspiele

Die Gedankenspiele in Brüssel über eine neue Struktur des künftigen EU-Haushaltes könnten den Eindruck erwecken, dass die Europäische Kommission, salopp gesagt, die Lust an der Agrarpolitik verliert und sich künftig lieber auf Themen wie globale Wettbewerbsfähigkeit, Energie- und Industriepolitik und künftig auch noch Verteidigung konzentriert. Die Agrarhilfen und die Förderung strukturschwacher Regionen, die jeweils ein Drittel des Haushaltes von zuletzt 141 Milliarden Euro ausmachten, sollen laut Presseberichten über diese durchgestoßenen, internen Vorschläge in einen gemeinsamen Fonds für die Wettbewerbsfähigkeit aufgehen. Nach dem Vorbild des 2021 geschaffenen Coronaaufbaufonds sollen die Mittel dann als eine Art Zuschuss zum nationalen Haushalt an die EU-Staaten überwiesen werden. Diese müssen mit der Kommission vorab nationale Pläne mit politischen Reformen und Zielen vereinbaren. Geld bekommen die Staaten, wenn sie diese erfüllen.

Zu fürchten wäre eine Renationalisierung der Agrarpolitik oder zumindest eine stärkere Differenzierung zwischen den Mitgliedstaaten, die zu Wettbewerbsungleichheit in der EU führen würde. Gegen solche Pläne würde es allerdings starken Widerstand im Europäischen Parlament geben, weil dessen Haushaltsrecht untergraben würde und eine breite Mehrheit der Abgeordneten nach wie vor für eine gemeinsame Politik für Landwirtschaft und die ländlichen Räume ist, die bislang zu den Grundpfeilern der Europäischen Union gehört. Auch dem Ministerrat dürfte ein Machtzuwachs der Kommission, der durch diese Mittelzuteilung entstehen würde, nicht gefallen. Dessen einstimmiges Votum ist für den Beschluss eines Mehrjährigen Finanzrahmens (der nächste von 2028 bis 2034) erforderlich. Die inoffiziellen Brüsseler Gedankenspiele, die nur ungenau und lückenhaft in den Medien wiedergegeben werden, bieten viel Raum für Spekulation. Wenn die skizzierten Strukturen auch keine Chance auf Umsetzung haben, so geben die Vorschläge einen weiteren Hinweis darauf, dass der Konkurrenzdruck anderer und neuer Politikfelder gegenüber der gemeinsamen Agrarpolitik und dem Agrarhaushalt immer größer wird.

Cornelius Mohr – LW 42/2024