Fauler Kompromiss

Der Kabinettsbeschluss vom 4. September 2019 wird in die Agrargeschichte eingehen, weil er Ausgangspunkt für einen fundamentalen Eingriff in das Eigentum der Landwirte ist und bei ihnen einen immensen Vertrauensverlust in die Politik auslöste. Bei dem sogenannten Agrarpaket ging es damals um die Umschichtung von der Ersten in die Zweite Säule von 4,5 auf 6 Prozent für das Jahr 2020 und den Entwurf für ein Tierwohlkennzeichengesetz von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Dagegen hatte die SPD nach Jahren ihren Widerstand aufgegeben ebenso die Forderung nach einer höheren Mittel-Umschichtung. Und doch hat Umweltministerin Svenja Schulze viel schwerwiegenderes erreicht: ein vom Kabinett beschlossenes Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten. Ein Kuhhandel, sagte ein Teil der Opposition. Der Bauernverband sprach mit Blick auf das Insektenschutzprogramm von toxischen Regelungen. Das Paket war in Verbindung mit der wiederum novellierten Düngeverordnung dann Auslöser von Bauerndemonstrationen, die das Land so noch nicht gesehen hatte. Auch in Coronazeiten wurden die Proteste auf allen Ebenen fortgesetzt und kurz vor dem neuerlichen Kabinettsbeschluss mit Politikern auf höchster Ebene Gespräche geführt. Doch Umweltministerin Schulze hatte mit dem ersten Kabinettsbeschluss den Fuß in der Tür. Das wollte oder konnte die Kanzlerin nicht ignorieren. Die Union wird dies bei ihren Stammwählern, zu denen die Landwirte gehör(t)en, zu spüren bekommen. Ob von Umweltfragen getriebene Wähler der SPD diesen Schachzug honorieren werden, ist aber auch fraglich. Sie wählen mutmaßlich eher grün. Dass Schulze nicht den vernünftigeren, niedersächsischen, Weg ihrer Parteikollegen einschlägt, mag an der falschen Beratung in ihrem Hause liegen.

Mit dem Kabinettsbeschluss von vergangener Woche sind nun Pflöcke eingeschlagen. Auch wenn ein paar Verbesserungen erreicht wurden, wie die Herausnahme von Sonderkulturen beim Pflanzenschutzverbot, ist der Beschluss nicht akzeptabel. Chancen für Verbesserungen gibt es noch im Bundesrat (Pflanzenschutzanwendungsverordnung) und im Bundestag (Insektenschutzgesetz). Die Proteste gehen deshalb weiter.

Cornelius Mohr – LW 7/2021