Finanzierungsfrage weiter offen
Ein staatliches Tierwohlkennzeichen stand bereits bei den Vorgängern Cem Özdemirs auf der Agenda. Ilse Aigner (CSU) wollte es einführen, Christian Schmidt (CDU) stellte auf der Grünen Woche 2017 ein unfertiges Konzept vor und Julia Klöckner (CDU) wollte mit Verweis auf das EU-Recht ein freiwilliges Tierwohllabel, was nicht zustande kam, weil sich der Koalitionspartner SPD trotz Kabinettsbeschluss dagegen wendete.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), seit über einem halben Jahr im Amt und mittlerweile unter Druck, zukunftsfähige Konzepte zu liefern, hat vergangene Woche (LW Nr. 23) nun eine verbindliche staatliche Kennzeichnung vorgestellt, die zunächst bei frischem Schweinefleisch angewendet werden soll. Und auch hier ist das Konzept nicht fertig. Denn die Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung, die mit dieser verbindlichen Kennzeichnung einhergehen soll, ist noch komplett offen. Die Expertenkommission unter Jochen Borchert bezifferte den Finanzbedarf auf jährlich mehr als 3 Mrd. Euro. Der Koalitionspartner FDP sperrt sich offen gegen eine Abgaben- oder Steuerfinanzierung. Und es ist angesichts steigender Preise für alle wichtigen Dinge des Lebens fraglich, welcher Politiker sich für höher besteuerte Lebensmittel einsetzt. Ohne eine dauerhafte Finanzierung des erhöhten Aufwandes wird es aber kaum einen Umbau in der Tierhaltung geben. Schon bei der zweiten Stufe, die dem gesetzlichen Mindeststandard (Stufe 1) folgt, sind laut Eckpunkten Özdemirs 20 Prozent mehr Platz vorgesehen, das heißt, es können bei gegebener Stallgröße ein Fünftel weniger Tiere (Schweine) gehalten und vermarktet werden.
Eine große Schwäche des Kennzeichnungs-Konzeptes ist zudem, dass verarbeitetes Fleisch und die Vermarktung in der Gastronomie zunächst außen vor bleiben, so dass es zweifelhaft ist, ob eine ausreichende Marktdurchdringung erzielt werden kann. Zumindest hat Özdemir sein Konzept halbwegs kompatibel mit der von der Wirtschaft betriebenen und finanzierten freiwilligen Initiative Tierwohl (ITW) gemacht.
Cornelius Mohr – LW 24/2022