Handelsabkommen nicht schönreden
Die Protagonisten der Grünen zeigen eine bemerkenswerte Flexibilität in der Verfolgung ihrer politischen Ziele. Das wird auch in dem Bemühen deutlich, das bereits 2019 ausgehandelte Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten zur Umsetzung zu bringen. Wegen der Kritik aus europäischen Staaten, insbesondere an der Abholzung des Regenwaldes in Brasilien, ist das Abkommen nicht in Kraft getreten. Starke Einwände kamen und kommen aus Frankreich und Österreich wegen der unterschiedlichen Umwelt- und landwirtschaftlichen Produktionsstandards. In Deutschland hatten unter anderem die von Grünen mitregierten Länder Hessen, Schleswig-Holstein und Thüringen in der Protokollerklärung zur Agrarministerkonferenz 2019 noch ihre Besorgnis über den unterschiedlichen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln kundgetan und dass sie die unterschiedlichen Umweltstandards als nicht vereinbar mit den EU-Umweltzielen sehen. Der Stopp der Urwaldrodungen in Brasilien sei Voraussetzung für den Abschluss des Abkommens.
Nachdem der für seine laxe Umweltpolitik berüchtigte Präsident Bolsonaro sehr knapp abgewählt wurde und der neue Präsident Lula da Silva ein Ende der Regenwaldabholzung angekündigt hat, könnten sich die Verhältnisse zwar ändern. Dennoch hat man den Eindruck, dass sich Wirtschaftsminister Habeck und Landwirtschaftsminister Özdemir, die vergangene Woche Südamerika besucht haben, die Verhältnisse in Brasilien schönreden, um das Abkommen umzusetzen. Es ist ja richtig, wenn Europa auf die demokratisch regierten Länder Südamerikas zugeht angesichts des Krieges in der Ukraine und der zunehmenden Blockbildung der Staaten. Doch wenn Özdemir davon ausgeht, dass ein Abschluss bald gelingen kann, nimmt er die bestehenden Unterschiede beim Produktionsniveau in Kauf. Das ist umso gravierender, als auf europäischer Seite das Tierwohlniveau weiter erhöht wird und mit dem Green Deal der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und von Düngern immer weiter eingeschränkt werden. Wenn der Handel dann nicht fair geregelt wird, verlieren die europäischen Landwirte ihre Wettbewerbsfähigkeit und Özdemir ein weiteres Stück Glaubwürdigkeit.
Cornelius Mohr – LW 12/2023