Heimische Sonderkulturen unter Druck
Was für ein Jahr! Ganz anders als die vergangenen: Die stetig hohen Niederschläge, der hohe Pilzdruck und die geringe Befahrbarkeit der Böden haben die Gemüse- und Obstbauern an ihre Grenzen gebracht. Im Gemüsegarten der Pfalz und Hessens zeigt sich, was jeder Hobbygärtner mitmacht: Über Nacht sind frisch aufgegangene Saaten von den Schnecken deutlich dezimiert, Zucchini- und Kohlpflanzen nur noch ein Gerippe. Je nach Lage des Feldes musste mehrfach Schneckenkorn gestreut werden.
Ende vergangener Woche hat das Statistische Bundesamt die Meldung herausgebracht, dass die kleinste Erdbeerernte seit 1995 eingefahren wurde. Und auch im Spargel wurde nur eine unterdurchschnittliche Menge vermarktet. Es gab nur selten das typische Spargelwetter, bei dem man mit Freunden zum ersten Mal auf der Terrasse saß. Nein, es regnete und war noch dazu kühl. Das führte dazu, dass manche Spargelanbauer die Zahl der Straßenverkaufsstellen reduzierten. Die Erdbeeranbauer mussten viele von Grauschimmel befallene Früchte entfernen oder gaben das Ernten gleich auf.
Doch es liegt nicht allein an der Witterung. Bereits in den vergangenen Jahren war abzusehen, dass die Verbraucher angesichts der starken Inflation zurückhaltender mit dem Kauf der Frühlingsboten umgingen. Viele Anbauer hatten bereits die Flächen reduziert – dies gilt für Spargel und Erdbeeren. Denn beide Kulturen benötigen besonders zur Ernte einen hohen personellen Aufwand. Mit dem Mindestlohn von 12,41 Euro kann sich kein Anbauer mehr unrentable oder weniger gute Anlagen leisten. Manche investieren in Folientunnel, um dort die Erdbeeren anzubauen, im Spargel heißt die Lösung maschinelle Ernte.
Aber es betrifft nicht nur die zwei Leitkulturen Spargel und Erdbeeren, auch andere Gemüse- und Obstkulturen wandern angesichts widriger politischer Rahmenbedingungen – vor allem aufgrund des hohen Mindestlohns und der ungenügenden Pflanzenschutzzulassungen – mehr und mehr ins Ausland ab.
Dort werden unter deutlich niedrigeren sozialen und ökologischen Standards Gemüse und Obst produziert, die hier für wenig Geld vermarktet werden. Das scheinen Politik, Handel und Verbraucher zu ignorieren.
Elke Setzepfand – LW 30/2024