Mercosur-Abkommen auf der Kippe
Das Lager der europäischen Befürworter des Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay schrumpft. Phil Hogan musste jetzt wegen Missachtung von Corona-Auflagen in seiner irischen Heimat zurücktreten. Er war bei Abschluss des Abkommens Ende Juni 2019 EU-Agrarkommissar und hatte es kürzlich als EU-Handelskommissar noch lebhaft verteidigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im vergangenen Jahr die Kommission noch in einem Brief zu einem schnellen Abschluss aufgefordert hatte, äußerte vor kurzem Bedenken. Sie nähert sich damit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron an, der das Abkommen in derzeitiger Form ablehnt. Für eine Ratifizierung durch alle 27 EU-Staaten sieht es derzeit also nicht gut aus, nachdem auch Österreich, Irland und weitere Staaten Vorbehalte haben. Zuletzt fokussierte sich die Kritik auf die wieder stark gestiegene Abholzung des Urwaldes in Brasilien und die offensichtliche Weigerung des Präsidenten Jair Bolsonaro, wirksam etwas dagegen zu tun. Dabei beinhaltet das Abkommen, das in über 20 Jahren ausgehandelt wurde, die Verpflichtung zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens und die Verpflichtung der brasilianischen Regierung, die illegale Abholzung zu beenden. Dem Klima würde die Ratifizierung des Abkommens deshalb wahrscheinlich mehr dienen als ein Scheitern, zumal es auch eine Zeit nach Bolsonaro gibt.
Es bleiben die Vorbehalte oder die Ablehnung von Seiten der Landwirtschaft. Sie richten sich gegen die ungleichen Anforderungen bei Umwelt- und Klimaschutz, beim Antibiotikaeinsatz und beim Pflanzenschutz sowie gegen die nicht ausreichende Absicherung des europäischen Marktes bei Rindfleisch, Geflügel und Zucker. Diese Wettbewerbsverzerrungen müssen tatsächlich verhindert werden, wenn Europa glaubwürdig bei seinen eigenen Nachhaltigkeitsanforderungen bleiben will. Ob Nachbesserungen möglich sind, ist jedoch fraglich. Sie würden auf jeden Fall mit Gegenforderungen der Handelspartner beantwortet werden. Ein komplettes Scheitern wäre bedauerlich, weil ein Freihandelsraum mit 760 Mio. Verbrauchern – es wäre der größte der Welt – auch Chancen für die heimische Landwirtschaft bieten kann.
Cornelius Mohr – LW 37/2020