Systemrelevant
In der vorübergehenden Schließung des Tönnies-Schlachthofes in Rheda-Wiedenbrück wegen der vielen Corona-Fälle zeigt sich die Systemrelevanz von solch großen Betrieben. Fällt die Kapazität von 140 000 Schweineschlachtungen in der Woche und vor allem die Zerlegung weg, kann diese nicht einfach kompensiert werden. Zumal auch in anderen Schlachtstätten Einschränkungen herrschen.
Auf dem Markt wächst der Druck mit jedem Tag, an dem die Schweine auf den landwirtschaftlichen Betrieben heranwachsen. Die Tiere müssen weitergefüttert werden, was den Halter Geld kostet, aber kaum etwas bringt. Im Gegenteil, durch die Preismaske könnten sie wegen zu schwerer Tiere noch „bestraft“ werden. Die Schweine bleiben länger im Stall, und so sind auch die Ferkelerzeuger betroffen, deren Ferkel nicht eingestallt werden können. Die Sauen produzieren aber auch weiter. Jeder Tag, den die Produktion in Rheda-Wiedenbrück früher wieder aufgenommen wird und die Kapazitäten in anderen Schlachtstätten wieder vollständig laufen, ist deshalb wichtig.
Die Fleischunternehmen haben unterdessen auf enormen Druck der Politik akzeptiert, künftig die Arbeiter fest anzustellen, statt sie über Werkverträge anzuheuern. Das ist gut so, weil sie Verantwortung für diese künftigen Mitarbeiter übernehmen müssen und klare Verhältnisse geschaffen werden. Allerdings wird dies in der Tendenz für die Schlachtunternehmen teurer. Eine entscheidende Frage ist, wer die Mehrkosten trägt.
Das Branchengespräch Fleisch, das die drei Landwirtschaftsministerinnen Klöckner, Heinen-Esser und Otte-Kinast vergangene Woche veranstaltet haben, hat die zugespitzte Aufmerksamkeit genutzt, um unter anderem für ein staatliches Tierwohlkennzeichen, eine Tierwohlabgabe auf europäischer Ebene und für eine Umsetzung der Empfehlungen der Borchert-Kommission zu werben. Vor allem wurde auch das Hauptproblem benannt: die zu geringe Wertschätzung durch den Verbraucher für Fleisch im Zusammenspiel mit dem Unterbietungswettbewerb des Lebensmitteleinzelhandels. Ein Werbeverbot für Billigangebote wäre durchaus angemessen.
Cornelius Mohr – LW 27/2020