Traum von 100 Prozent Bio

Die Biofach verleitet manchen Politiker offenbar zu Überschwang. Staatssekretärin Silvia Bender vom Bundeslandwirtschaftsministerium träumte auf der Fachmesse für Biolebensmittel vergangene Woche von 100 Prozent Bio. Den Anteil von 30 Prozent, der bis 2030 im Koalitionsvertrag der Ampel als Ziel vereinbart wurde, bezeichnete Bender als ersten Schritt. Derzeit liegt der Anteil in Deutschland laut ami bei 11,3 Prozent der Fläche (1,869 Mio. Hektar) und 14 Prozent der Betriebe (36 548). Die Steigerungen lagen zuletzt bei 3,7 und 2,3 Prozent.

Rechnet man mit diesen Wachstumsraten bis zum Jahr 2030 weiter, so wäre man bei der Fläche gerade mal bei knapp 15 Prozent. Es sind also viel größere Steigerungsraten nötig, um das Ziel zu erreichen. Danach sieht es aber derzeit nicht aus. Durch die Angleichung der Erzeugerpreise für konventionelle und ökologisch erzeugte Produkte ist aktuell der Anreiz umzustellen gedämpft. Und die neue Gemeinsame Agrarpolitik macht die Ökolandwirtschaft auch nicht attraktiver, etwa durch die Verpflichtung auch für Ökobetriebe zu 4 Prozent unproduktiver Fläche. Der Traum von 100 Prozent Bio rückt also in weite Ferne.

Was aber bedeutet Bio in einigen Jahren? Gibt es dann noch die fundamentalen Unterscheidungen? In der Praxis nähern sich die Systeme weiter an. In der Schweinehaltung beispielsweise durch ein größeres Platzangebot, Außenklima und Stroheinstreu in immer mehr konventionellen Betrieben. Im Ackerbau mit dem immer genaueren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis hin zur punktuellen Ausbringung und dem Einsatz von Striegeln. Hinzu kommen die Erweiterung der Fruchtfolgen und der Anbau von mehr Leguminosen. Diese Bemühungen der konventionellen Landwirtschaft, die ja mit Blick auf Umwelt-, Tier- und Artenschutz unternommen werden, blendet die Staatssekretärin mit ihrem Traum von 100 Prozent Bio aus. Bei ihr hört sich Bio wie reiner Selbstzweck an. Denn auch die Frage, wie die Ertragslücke von 10 bis 40 Prozent bei Ackerkulturen im ökologischen Anbau ausgeglichen werden soll, bleibt unbeantwortet.

Cornelius Mohr – LW 8/2023