Weltweite Abhängigkeiten

Der Krieg in der Ukraine hat in der vergangenen Woche die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung auf die politische Tagesordnung in Deutschland und Europa gebracht. Was Berufsstandvertreter schon seit langem fordern, kommt jetzt erzwungenermaßen und unter dem Eindruck einer drohenden weltweiten Verknappung aufs Tapet. Rufe nach einer Anpassung der Gemeinsamen europäischen Agrarpolitik und des Green Deals mit der Farm-to-fork-Strategie werden lauter. Sehr konkret richten sich die Forderungen auf eine Aussetzung oder Anpassung der in der neuen GAP geforderten Flächenstilllegung von mindestens 4 Prozent. EU-Agrarkommissar Wojciechowski kann sich das offensichtlich vorstellen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat dagegen darauf verwiesen, dass die Versorgung innerhalb Europas nicht gefährdet sei, und einem Aussetzen von Teilen der neuen GAP eine Absage erteilt. „Wer die Agrarpolitik hin zur Förderung einer klima- und umweltschonenden Landwirtschaft zurückdrehen will, ist auf dem Holzweg“, sagt Özdemir. Allerdings will das niemand. Mit einer Aussetzung der Flächenstilllegung würde die neue GAP sicher nicht ausgehebelt. Sie würde aber einen nennenswerten Beitrag zur Sicherung der Lebensmittelversorgung erbringen, mutmaßlich ohne Schaden für Klima- und Umweltschutz.

Wenn Putin nach seinem Überfall dauerhaft über die Ukraine herrschen sollte, was leider nicht ausgeschlossen ist, hätte er nach bisherigem Stand künftig knapp 24 Prozent der weltweiten Weizenexporte unter seiner Kontrolle. Die globale Abhängigkeit von Russland, die bei der Energieversorgung besteht, gäbe es auch bei Getreide. Europa müsste dies nicht direkt fürchten, da es selbst genug produziert. Die Länder in Nordafrika und dem Nahen Osten aber sind auf kostengünstige Importe angewiesen. Man kann sich ausmalen, wie Putin diese Abhängigkeit nutzen wird.

Ernährungssicherung kann deshalb – auch in einer Zeit nach Putin – nicht nur eurozentrisch gedacht werden. Aus den sehr guten Produktionsbedingungen in Europa ergibt sich eine Verantwortung gegenüber Menschen in benachteiligten Weltregionen.

Cornelius Mohr – LW 10/2022